Chronische Begleitautomatik

■ Kein Klamauk oder Mitleidsbonus: Schizo-Entertainer Wesley Willis im Molotow

„Das Gute an Musik“, so informierte uns schon Bob Marley damals in „Trenchtown Rock“, „ist, dass du dich gut fühlst, wenn sie dich trifft.“ Wesley Willis, der am Montag im Molotow gastiert, würde dem sicherlich zustimmen. Der ehemals obdachlose Straßenmusiker und Künstler, der in den letzten acht Jahren etwa 700 Songs aufgenommen und auf über 30 CDs veröffentlicht hat, macht Musik, um, wie er sagt, die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen zu bringen – aber vor allem, „um die Leute richtig zu rocken.“

Die chronische Schizophrenie, unter der Willis leidet, hat in amerikanischen Rock-Fantasien traditionellerweise eine nicht unwichtige Projektionsfunktion. Ob als regressives Wunschbild bei den Ramones („There is no stopping the cretins from hopping“), als expressive In-trospektion bei Henry Rollins oder als ewig pubertäre Aggro-Attitüde bei Eminem – weniges funktioniert im Rock besser als Platzhalter für Intensität als eine klinische Psychose.

So ist es auch kein Wunder, dass sich Wesley Willis vor prominenten Fans kaum retten kann. Pearl Jam und die Smashing Pumpkins sind mit ihm aufgetreten, Rick Rubin war eine Zeit lang sein Produzent und Jello Biafra hat aus Willis' riesigem Output bereits zwei Greatest Hits-Sampler zusammengestellt und auf seinem Alternative Tentacles-Label veröffentlicht. Auf den Servern amerikanischer Colleges erklären zig Teenager und andere Orientierung Suchende, dass nur Wesley es sagt, wie es ist, und selbst MTV kam nicht umhin, ihn in einem Feature vorzustellen. In Deutschland konnte Willis, der seine Freunde gerne mit Kopfnüssen begrüßt, sogar noch klügere Fans finden. Zwei Wochen lang war er nun mit den Goldenen Zitronen auf Tour, und beendet seinen ersten Ausflug nach Kontinentaleuropa mit einem Solo-Auftritt im Molotow.

Wenn innerhalb dieser amerikanischen Alternative-Rock-Maschine ein diagnostiziert schizophrener Afro-Amerikaner mit seinen Songs populär wird, drängen sich sofort zwei Befürchtungen auf: Es könnte sich bei der Musik um überpathetischen Emo-Trash handeln, und irgendwie riecht es auch nach Exploitation. Doch Gemach. Wesley Willis singt (oder besser: redet) von einem US-amerikanischen Alltag, dessen Banalität mit keinem Teen-Horror der Welt zu verkitschen wäre („McDonalds Hamburger sind die schlimmsten. Sie machen dich fett“). Auch seine Songs über die Helden, die außerhalb dieser Banalität zu stehen scheinen, sei es Bill Clinton („You are the president of the US“), Rage against the Machine („They are a Rock band“) oder Batman („I wupped Batman's ass“) sind jeder Überhöhung abhold. Da braucht es dann durchaus Willis' autobiographische Stücke, um klar zu machen, wie bizarr dieser Alltag ist („They threw me out of church“).

All diese Songs singt Willis zur mehr oder weniger gleichen Begleitautomatik, vorzugsweise „Country Rock No.8“, auf seinem Technics-Keyboard, beendet sie stets mit dem Slogan „Rock over London, Rock on, Chicago!“ und lässt dann noch einen passenden Werbespruch folgen. Zurückhaltend und repetitiv also ist das Ganze, und das war ja noch selten schlecht. Und der Exploitation-Vorwurf? Nun ja, wer je ein Rocckonzert gesehen oder von Britney Spears gehört hat, weiß um den Freakshow-Charakter dieser Entertainment-Formen und sollte eigentlich in der Lage sein, die äußerst idiosynkratische Kunst des Wesley Willis ernsthaft zu goutieren.

Georg Felix Harsch

mit Harry: Montag, 21 Uhr, Molotow