Vorwurf an Schwedens Justiz

Auch 15 Jahre nach der Ermordung des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme ist seine Witwe überzeugt davon, den Mörder zu kennen. Der wurde 1989 freigesprochen

STOCKHOLM taz ■ Erst schwieg sie über 15 Jahre lang. Nun richtet sie eine wahre Breitseite der Kritik gegen die Justiz ihres Landes. Lisbet Palme, Witwe des am 28. Februar 1986 erschossenen schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme warf in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter den RichterInnen des – einem deutschen Oberlandesgericht vergleichbaren – „Svea Hovrätt“ Befangenheit und politische Motive dafür vor, dass dieses Attentat nach wie vor nicht aufgeklärt ist.

Lisbet Palme war und ist überzeugt, den Mörder schon bei der ersten Gegenüberstellung identifiziert zu haben: den alkohol- und drogenabhängigen Christer Pettersson, den das Gericht jedoch in zweiter Instanz freigesprochen hat.

Lisbet Palme hat nie darüber spekuliert, ob Pettersson nun ein Alleintäter oder ein bezahlter Mörder sei – bis heute aber weist sie dezidiert auf die „enormen politischen Spannungen“ zum Zeitpunkt des Attentates hin.

Unter anderem wegen fehlender persönlicher Tatmotive war Pettersson im September 1989 freigesprochen worden. Dazu kamen Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Identifizierung durch Lisbet Palme, die zunächst zu einer Verurteilung Petterssons zu lebenslanger Haftstrafe veranlasst hatte.

Die Gegenüberstellung war von Beginn an angreifbar. Denn Lisbet Palme war vorher vom Fahndungsleiter informiert worden, man habe einen alkoholabhängigen Verdächtigen verhaftet – und dann stand Pettersson da, in abgerissener Kleidung und Turnschuhen, zwischen lauter Polizeibeamten mit gepflegtem Äußeren. „Man sieht doch, wer da ein Alkoholiker ist“, waren Lisbet Palmes spontane Worte – und genau das säte Zweifel an der glaubwürdigen Identifizierung.

Lisbet Palme erklärt ihren spontanen Ausspruch heute mit dem Schock, den sie empfunden hatte, plötzlich in die gleichen Augen zu blicken wie in der Tatnacht. Nach Meinung des Gerichts macht aber gerade der Schock eines solchen Taterlebnisses ein unverfälschtes Bild höchst unsicher. Ein „Problem für Schweden als Rechtsstaat“ sei dieses Gerichtsverfahren und seine möglichen Hintergünde, so Lisbet Palme: „Ich appelliere daran, die Unparteilichkeit dieser Richter zu beleuchten.“

REINHARD WOLFF