„Und dann war da ein Weinberg“

Von einem der auszog, in Ungarn seinen eigenen Wein zu machen: Der frühere Rechtsanwalt Horst Hummel kaufte sich acht Hektar Weinberge und verwirklichte seinen Traum vom schweren Roten

Interview MANFRED KRIENER

taz: Herr Hummel, wie kam es, dass Sie ausgerechnet in Ungarn ein Weingut gegründet haben?

Horst Hummel: Es fing damit an, dass ich seit zwanzig Jahren leidenschaftlicher Weintrinker bin. Als gebürtiger Reutlinger habe ich natürlich Trollinger getrunken, dann bin ich öfter nach Frankreich und Italien gefahren und dort in die Weinkeller gestiegen.

Sie waren ein echter Weinenthusiast?

Genau. Und weil ich viel mit den Weinmachern geredet habe, bekam ich ein Gefühl für den Wein und seine Herstellung. Dann schwirrte plötzlich dieser Gedanke durch meinen Kopf: Wie wäre es, wenn du eines Tages deinen eigenen Wein machen würdest? Ich habe dabei an Rotwein gedacht, an einen intensiven schweren Roten. 1986 hat mein Bruder eine Ungarin geheiratet. Auf dem Hochzeitsfest habe ich meinen ersten ungarischen Rotwein getrunken – einen hervorragenden Zweigelt. Ich war mächtig beeindruckt, dass die so anständige Weine machen. Seit diesem ersten Glas habe ich an das Potenzial ungarischer Rotweine geglaubt.

Drei Jahre später kam die Wende und Ungarn war offen.

Und ich dachte, okay, vielleicht kannst du in Ungarn wirklich einen Weinberg kaufen und einen konzentrierten, schweren Rotwein machen.

Sie hatten die Struktur Ihres Weins schon im Kopf?

Alle guten Rotweine der Welt sind konzentriert und intensiv. Ich habe oft mit meiner Schwägerin über die Möglichkeit geredet, in Ungarn diesen Wein zu machen. Aber erst 1997 bin ich nach Jugoslawien gereist, wo mein Urgroßvater als Weinmacher in einem Dorf in der Vojvodina gelebt hat. Auf der Rückfahrt habe ich in Ungarn Station gemacht. Und plötzlich war dort ein Weinberg zu verkaufen. Wir haben was für dich, sagte die Verwandtschaft der Schwägerin, obwohl das mit dem eigenen Wein nur so eine vage Idee war.

Plötzlich wurde es bitterernst?

Das ging mir viel zu schnell. Ich dachte, erst mal langsam, aber angucken kannst du das ja. Also sind wir die Donau runter nach Szekszárd gefahren, dort war ein kleiner Weingarten mit Zweigeltreben, einem Presshaus und Keller zu verkaufen. Der Preis war so günstig, dass ich dachte, das ist machbar.

Also haben Sie zugeschlagen?

Nein. Ich wusste noch nicht, ob das mein Ort ist. Außerdem hatte ich null Ahnung vom Weinmachen. Ich wusste nur, wie der Wein nachher schmecken sollte. Ich wusste nicht, wie man Reben schneidet, einen Weingarten bearbeitet, was man mit den Trauben anstellt, wenn sie geerntet sind, welche Ausrüstung ich brauche.

Außer einer gewissen romantischen Vorstellung war nichts da?

Ich hatte nur eine Vision, eine Idee. Als ich dann hörte, dass da ein Mann ist, der die Reben pflegt und mir hilft, wurde alles realistischer. Ich konnte mir ausrechnen, wenn du den Weinberg kaufst, den Mann bezahlst, dazu noch die Materialkosten für Spritzmittel, Maschinen, dann gehören dir 700 Liter Wein jedes Jahr. Mit diesem Gedanken im Kopf bin ich nach Berlin zurück und habe mich mit meinem ungarischen Freund beraten. Ich habe ihn sofort gefragt, wo der beste Rotwein Ungarns wächst. Villány!, hat der gesagt. Also war klar: Ich musste nach Villány. Das Dorf hat 3.000 Einwohner und 600 Winzer. Alles dreht sich um Wein. Man kann ihn förmlich auf der Straße riechen. Es hat mir sofort gefallen, und es gab ambitionierte Weinmacher wie Attila Gere, József Bock, Ede Tiffán und Gábor Szende, die Rotweine machen, die mich beeindruckt haben. Ich habe bei Gere in der Pension übernachtet, seine Weine probiert und gespürt, was an diesem Ort möglich ist.

War damit die Entscheidung gefallen?

Noch nicht. Ich bin wieder nach Hause und habe überlegt. Es war klar, dass ich kein Hobby wollte, sondern eine neue Existenz. Ich wollte das ernsthaft betreiben.

Waren Sie bereit, Ihren Beruf als Rechtsanwalt für den Wein aufzugeben?

Ja, ich habe meine Kanzlei sowieso nur noch nebenberuflich geführt. Dann habe ich angefangen zu rechnen: Wie viel Hektar brauchst du, um davon zu leben. Mindestens zwei, besser fünf. Dann bin ich losgefahren. Ich hatte keine Ahnung, ob in Villány überhaupt Land zum Verkauf stand, aber ich hatte mich entschieden. Das war im Frühling 1998.

Zu diesem Zeitpunkt war die Invasion der Österreicher, Deutschen und Franzosen, die alle in Ungarn Weinberge kauften, eigentlich schon vorbei.

Die Felle waren verteilt. Aber Villány ist von den Aufkäufern verschont geblieben, weil es klein und nicht so bekannt ist. Die Großinvestoren gingen nach Tokay und zum Balaton. Dort haben sie 100 Hektar und mehr auf einen Schlag gekauft. Das bekommt man in Villány nicht.

Sie haben Ihre fünf Hektar aber gefunden?

Es sind inzwischen sogar acht. Gábor Szende, der Vorsitzende der Winzervereinigung Villány, hat mir geholfen. Ich hatte ihm von meinen Plänen erzählt. Er hat überlegt, ein paar Mal telefoniert und dann hatte ich innerhalb von zwei Stunden das erste Angebot. Ich stand völlig verunsichert in den Weingärten, konnte nicht beurteilen, ob das jetzt eine gute oder schlechte Lage ist. Ich musste aus dem Bauch raus entscheiden. Mein ganzes Wissen war angelesen, ich hatte keine Erfahrung. Natürlich sagt einem keiner, welche Lage besonders gut ist oder wo der Nebel drinsteht.

Wie lange hat das gedauert, bis Sie sich definitiv entschieden hatten?

Zehn Tage. Als ich Ende März zurück nach Berlin fuhr, besaß ich bereits sieben Hektar, davon gut sechs am Stück in einem großen Gelände. Ich stand da drin, und das kam mir wahnsinnig groß vor. Das war riesig. Ich dachte, wenn der ein Drittel verkauft, das wäre okay, aber dieser ganze riesige Weinberg. Ich habe dann woanders kleine Parzellen gekauft, musste aber immer an die sechs Hektar denken. Bis ich sie gekauft habe.

Was haben Sie dafür bezahlt?

Viel! Ich will hier nicht die Preise für ungarische Weinberge ausbreiten. Ich konnte es finanzieren.

Damit kam schon im gleichen Jahr eine gewaltige Ernte auf Sie zu?

Nein, die sechs Hektar waren noch nicht bepflanzt. Nur auf den kleineren Parzellen wuchsen schon Portugieser, Blaufränkisch und Welschriesling. Bis zur Ernte wollten die alten Besitzer die Weinberge pflegen und mir die Trauben verkaufen. Den Wein sollte ich selbst machen, es musste also was passieren. Die Qualität dieses ersten Jahrgangs konnte ich kaum beeinflussen, weil die Weinbergspflege nicht meine Sache war. Da ließen die sich nicht reinreden. Im Mai habe ich dann ein altes, zerfallenes Bauernhaus gekauft, außerdem ein Presshaus mit Keller und einem weiteren kleinen Weingarten.

Jetzt fehlte Ihnen noch die gesamte Ausrüstung: Fässer, Maschinen, sündteurer Edelstahl.

Edelstahl habe ich bis heute nicht. So viel Geld hatte ich einfach nicht. Wir arbeiten mit einfachsten Mitteln. Da ich kaum Weißwein produziere, brauche ich Edelstahl und Temperatursteuerung nicht so dringend. Einen guten modernen Weißwein kriegst du ohne Temperatursteuerung bei der Gärung nicht so leicht hin. Beim Roten ist das einfacher, da musst du nur aufpassen, dass die Maische nicht über 35 Grad hochgeht.

Dann drohte im September 1998 die erste Ernte.

8.000 Flaschen! Ich habe wahnsinnig viel gelernt dabei. Zuerst musste ich alles kaufen: Pumpen, Fässer, Traubenmühle. Aber woher kriegst du das alles? Passen die Kunststofftanks überhaupt in den Keller? Dann habe ich mir Bücher besorgt zum biochemischen Prozess. Wann wird geschwefelt, wie viel? Während der Ernte lag das Buch immer aufgeschlagen im Presshaus, und ich habe ständig nachgeguckt. Soundso viel Most, macht soundso viel Schwefel. Zum Glück hat mich Gábor Szende unterstützt, ohne ihn wäre das nichts geworden. Es gab ungeheure Probleme. Ich habe viele Krisen durchlebt, aber ich hatte den Geschmack des Weins im Mund.

Erzählen Sie von den Krisen.

Die neu gekaufte Traubenmühle lief nicht, weil sie Drei-Phasen-Strom brauchte. In meinem Presshaus gab’s aber nur Zwei-Phasen-Strom. Also musste vom E-Werk Drei-Phasen-Strom ins Presshaus gelegt werden. Einen Tag vor der Ernte hatte ich keinen Strom. Du musst also jemand kennen, der beim E-Werk arbeitet. Ich kann aber kaum ein Wort Ungarisch. Es war dann so: Als der Traktor mit der Ernte um die Ecke fuhr, gingen im Presshaus gerade die Lichter an. Ohne fremde Hilfe wäre ich aufgeschmissen gewesen. Aber es hat immer wieder geklappt. Auch die Gärtanks sind erst auf den letzten Drücker geliefert worden. Und im Mai 1999 brach ein Fassreifen, und dreitausend Liter Wein versickerten im Erdreich.

Wie haben die Ungarn auf den Chaoten aus Deutschland reagiert?

Ich habe gute Erfahrungen gemacht. Die haben mich neugierig beobachtet. Natürlich war ich der Exot, der nicht gerade wie der geborene Weinbauer aussah, aber sie waren freundlich zu mir. Sie haben mir geholfen und mich nie wie einen Eindringling behandelt. Als mein Wein ausgelaufen ist, haben sie richtig mitgelitten.

Dann kam der große Tag: die erste eigene Flasche in der Hand.

Das war überhaupt nicht großartig. Eigentlich völlig normal. Und der erste Welschriesling war gewiss nichts Großes. Da wusste man nicht mal, ob überhaupt ein trinkbarer Wein rauskommt. Gut, am Ende war er doch noch ganz passabel.

Ihre Weine werden vor Ort gefüllt. Wie funktioniert die Vermarktung?

Die Weine werden in Berlin an Händler, Gastronomen und Privatkunden verteilt. Ich bin allerdings kein Vermarktungsgenie. Dass ich den Wein auch noch verkaufen muss, darüber hatte ich nie nachgedacht. Ich dachte, dass die Leute zum guten Wein kommen. Das denke ich immer noch, aber bis es so weit ist, werden zehn Jahre vergehen. Bis dahin muss der Wein zu den Leuten. In meinem Freundeskreis war anfangs natürlich beste Stimmung. Ich habe den größten Teil der Ernte hier in meiner Wohnung eingelagert. 450 Kartons mit zwölf Flaschen. Da haben sich richtig die Dielen durchgebogen. Als im Bad die ersten Fliesen geplatzt sind, habe ich Angst gekriegt. Fünf Lkws voll habe ich in meine Wohnung rein- und rausgeschleppt.

Sie hatten keinen Weinhändler?

Den fand ich beim Spazierengehen in Berlin. Wir waren am Potsdamer Platz, und ich bin einfach ins Weinhaus Huth rein und hab gefragt, ob sie keinen ungarischen Wein verkaufen wollen. Die wollten nicht, kannten aber eine Weinhandlung in Potsdam, die auf Ungarn spezialisiert war. Das waren Herr und Frau Pratschke – meine ersten Weinhändler. Inzwischen ist mir klar geworden, dass der Wein nicht auf mich gewartet hat. Es gibt so viele Weinmacher auf der Welt. Diese narzisstische Verlockung des eigenen Weins – das funktioniert nicht.

Und Ihr Traum vom großen schweren Rotwein?

Der ist noch da! Nächstes Jahr gibt’s den Jungfern-Ertrag aus dem neu bepflanzten Weinberg. Dort habe ich zwei Hektar Cabernet Sauvignon gepflanzt, zwei Hektar Blaufränkisch und knapp einen Hektar Merlot. Da kann ich selbst die Reben beschneiden und voll auf Qualität gehen. Der erste Jahrgang aus dem anderen Rebgarten – das waren sieben Tonnen Trauben von einem Drittel Hektar. Das war eine Sintflut, das hat gar nicht aufgehört. Als ich im nächsten Jahr diesen Weinberg selbst bearbeitet habe, fassten sich die Nachbarn an den Kopf: Willst du keinen Wein? Warum schneidest du alles weg? Ich habe knapp zwei Tonnen geerntet. Der Wein hatte in der ersten Analyse 40 Gramm Extrakt, der höchste Wert, den das Labor bei einem Blauen Portugieser jemals gemessen hat. Dieser Wein war das erste tolle Erlebnis, eine ungeheure Freude. Den mögen auch die Ungarn gern. Seitdem weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich will guten Wein zum vernünftigen Preis machen, das ist die Herausforderung.

Weinjournalist Till Ehrlich hat die Hummel-Weine verkostet. Sein Favorit: der 2000er Villányi Kékoporto: „Gute Harmonie von Frucht und appetitanregender saftiger Säure und Tanninen mit schöner Fruchtsüße.“ Ein trockener Roter für alle Tage. 8,60 Mark, Händlerliste und Bestellungen: Fon (0 30) 4 45 34 44