Sie vaterlandslose Titanic, Sie!

■ Drei Redakteure des endgültigen Satiremagazins sind die „Titanic Boygroup“. Jetzt lasen sie im Schlachthof aus ihren Werken

Wahrscheinlich haben sie eine ganz neue Disziplin aus der Wiege gehoben: Es gibt Autorenlesungen und Dichterlesungen, aber von Redakteurslesungen hatte man bisher noch nichts gehört. In ihrer Ankündigung versuchten die drei Titanic-Macher Oliver M. Schmitt (Recherche), Martin Sonneborn (Chefredakteur) und Thomas Gsella (Poet vom Dienst) etwas mehr aus dem zu machen, was da am Donnerstagabend im Schlachthof stattfand: Sie kündigten sich als „Titanic-Boygroup“ mit einer „Multi-Media-Lesung“ und „Sitz- und Trink-Performance“ an, dabei saßen sie auf der Bühne nur auf ihren Stühlen, zeigten ein paar Dias, spielten eine CD ab und lasen ihr Zeugs vor, das der Stammleser ihres Magazins zum größten Teil eh schon kannte. Dies taten sie nun allerdings sehr unterhaltsam, besonders Oliver Schmitt entpuppte sich als witziger Moderator und begabter Stimmimitator. Interessant da-ran war, dass die Texte erstaunlich gut alterten. Über eine längst nicht mehr aktuelle „Reportage“ anlässlich der unfreiwilligen Selbstverbrennung des Sportreporters Rolf Töpperwien wurde genauso gelacht wie über ein Kurzporträt von Afghanistan aus dem neuesten Heft, bei dem wie gewohnt, erwartet und geschätzt keine Geschmacklosigkeit ausgespart wurde. So konzentriert in einem (über drei Stunden langen) Stück vorgesetzt, konnte man (wenn man mal aus dem Lachen herauskam) die Stilmittel der Titanic sehr schön studieren. Kein Lacher ist ihnen zu billig, keine Kuh zu heilig – außer der Neuen Frankfurter Schule. Diese war in den 60er Jahren mit der „Pardon“ eindeutig stilprägend, und stilistisch saßen da jetzt Klone von Gernhard/Bernstein/Waechter auf der Bühne, denn keiner der jetzt verlesenen Texte trug die unverwechselbare Handschrift eines der Vorlesenden. Am deutlichsten wurde dies bei den Gedichten von Gsella, der sich immer wie Robert Gernhardt an nicht ganz so guten Tagen anhört. Was ja auch schon ganz anständig ist, und seine Erich-Kästner-Paraphrase über Kindererziehung, „Es gibt nichts Lautes, außer man haut es!“, gab einen der lautesten Lacher!

Natürlich durften auch die realsatirischen Triumphe der „Titanic“ nicht fehlen: Die Geschichte mit den gefaketen Millionenspendengeldern, bei der die Titanic mit ein paar Telefongesprächen und einem simpel gefälschten Kontoauszug die CDU in helle Aufregung versetzte, wurde als launige Reportage verlesen. Ebenso die Bestechungsaktion, durch die Deutschland ja immerhin die Fußball-WM 2006 ausrichten darf, weil ein schusseliger Funktionär aus Neuseeland das Fax mit Versprechungen von Lebensmitteln und Kuckucksuhren für bare Münze nahm. Als Reaktion auf diese Aktion lief die Bild-Zeitung (“unsere Referenz-Zeitung“) ihre LeserInnen dazu auf, ihrer Empörung telefonisch bei der Titanic Luft zu machen. Diese hat nun wiederum gar nicht dumm einige dieser Anrufe aufgenommen, und die entsprechende CD spielten die drei Titanisten auf offener Bühne ab. Und wenn Satire die herrschenden Zustände deutlich machen soll, dann war dies der wirkungsvollste Programmpunkt. Denn wenn man die dumpfen Beschimpfungen, dieses „Man sollte Euch vaterlandslose Gesellen alle...“ hört, dann wird einem bewusst, welche Sprengkraft die Titanic-Scherze immer noch haben. Wilfried Hippen