Böser Leierkastenmann

■ Brundibár – die Oper aus Theresienstadt in einer neuen Aufführung

„Ein halbes Jahrhundert kann vergehen, Einzelheiten der Erinnerung können verblassen, aber das Gefühl für diese Zeit bleibt lebendig, als wäre es gestern gewesen. Damals war Brundibár für uns ein Traum, der lebendiger war als das Leiden des Alltags in Terezín, ein Licht im Dunkel der Gefangenschaft, ein Hoffnungsschimmer, der über den Stacheldraht hinaus in das freie Leben gelangte“. So erinnert sich der damals 13-jährige Trompeter Paul Aron Sandfort an die Aufführung der Kinderoper „Brundibár“ des tschechischen Komponisten Hans Krása im jüdischen Ghetto Theresienstadt.

Die Oper wird nun auf Einladung der Kammerphilharmonie im Schlachthof vom Kinderchor des tschechischen Rundfunks zusammen mit Bremer Chören aufgeführt. Evelina Merova, die von der Kammerphilharmonie eingeladen wurde und in die Handlung einführen wird, erinnert sich ähnlich wie Sandfort. Sie war als elfjährige Zuschauerin der Uraufführung 1943 in Theresienstadt, „am bösen Ort und in bösen Zeiten“.

Die Regisseurin Zdena Flekova und der Dirigent der Aufführung, Michael Macourek haben in ihren Familien Opfer des Holocaust, und auch ihnen ist deutlich anzumerken, dass es um mehr geht als das Gastspiel der 25 Kinder des renommierten Disman-Kinderchores: „Wir wollen Freundschaft und Freude schenken“, sagt Flekova.

Wir erinnern uns an den Propagandafilm der Nazis „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“, in dem zu sehen war, wie gut die Juden es doch hatten, während deutsche Soldaten im Krieg waren: Mit diesem Film wurde nicht nur eine Besuchsgruppe des deutschen Roten Kreuzes, sondern die gesamte Weltöffentlichkeit getäuscht.

Auch wenn der Inhalt der Oper die politische Situation nicht thematisiert, so wurde, wie Merova erzählt, der Sieg des Guten in der Geschichte doch existentiell empfunden. In „Brundibár“, das 1991 zum ersten Mal nach fünfzig Jahren wieder aufgeführt wurde, geht es um die Waisenkinder Annika und Pepícek, die sich mithilfe ihrer schönen Stimmen Geld verdienen und Essen kaufen können. Obwohl ihnen der böse Leierkastenmann Brundibár das Geld stiehlt, schaffen sie es zum guten Ende, es gemeinsam mit allen Beteiligten – als da wären ein Spatz, eine Katze und ein Hund – zurück zu gewinnen. Da der Knabenchor der Kirche „Unser Lieben Frauen“ mit seinen 35 Kindern an der Aufführung beteiligt ist, wird abwechselnd auf tschechisch und auf deutsch gesungen. Den Inhalt erzählt in einem Einführungsteil Evelina Merova.

Die Musik für dreizehn Musiker-Innen von Hans Krasá ist neoklassizistisch tonal, versetzt mit Volkslied- und Jazzelementen. Hans Krasá ist 1899 geboren, war Schüler von Alexander Zemlinsky und im Konzentrationslager Theresienstadt Leiter der Musiksektion in der so genannten Abteilung „Freizeitgestaltung“. 1944 wurde er, wie die meisten Bewohner des Ghettos, darunter 15000 Kinder und fast alle DarstellerInnen aus „Brundibár“, in Auschwitz ermordet.

Im Anschluss an die Aufführung gibt es noch eine kleine Ausstellung „Theresienstadt – Musik, das war Leben“ zu sehen. Die Schautafeln zeigen Texte und Bilder, die das kulturelle Leben in Theresienstadt dokumentieren. Dann besteht auch die Möglichkeit, mit Evelina Merova und den KünstlerInnen zu sprechen. Die Dreiteilung des Projekts in Einführung, Aufführung und Ausstellung soll den kleineren Besuchern ermöglichen, die Oper zu hören, ohne sich im Anschluss noch mit der vielleicht überfordernden Ausstellung über Theresienstadt auseinandersetzen zu müssen.

Wie schon das große „Brundibár“-Projekt der Jeunesses Musicales 1995, das Kinder aus Polen, Tschechien und Deutschland zusammenführte, geht es auch in dieser Kooperation zwischen der Deutschen Kammerphilharmonie, dem Knabenchor Unser Lieben Frauen und dem tschechischen Disma-Kinderchor um die Kontinuität der Völkerverständigung, die in diesen Zeiten wichtiger sind denn je, genauso wichtig wie das Treffen mit den letzten Zeitzeugen. So bedauerten die Tschechen auch, dass es einfach nicht mehr Zeit für Austausch und Kontakte gab.

Ute Schalz-Laurenze

Heute um 16 Uhr im Schlachthof für Kinder ab sechs Jahren.