Mondlicht runterzerren

Sie geben den Kitsch ganz unumwunden zu: Heute werden Over The Rhine im BKA die Kraft der Liebe beschwören, die Cellos schmachten und die Gitarren schmelzen lassen

Manch einer weiß vorher schon, was die Kritiker schreiben werden. So wie Over The Rhine. „Films For Radio“ haben Karin Bergquist und Linford Detweiler ihr aktuelles Album getauft,das man ruhig als ihr gemeinsames Kind bezeichnen darf,sind sie doch ein Ehepaar. Und gern werden die Songs von Over The Rhine mit romantischem Breitwand-Kino zwischen Western und Musical verglichen.

Bergquist und Detweiler fanden sich in Cincinatti. Over The Rhine benannten sich nach einem Stadtteil und hatten ihren ersten Auftritt 1990 in einer Kneipe mit Waschsalon, was vor allem an die kulturelle Ödnis Ohios gemahnt. Seitdem werden sie von der lokalen Presse abgefeiert. Intelligente Unterhaltung für Erwachsene würde man bieten, romantische Stunden garantieren, die Menschen bewegen. Tatsächlich kann Bergquists Stimme einem leicht unter die Haut gehen, andererseits aber laufen Over The Rhine immer mal wieder Gefahr, sich im Kuschelrock-Universum zu verlaufen. „Wir wären gerne Marc und Bela Chagall“, gibt Detweiler den bandinternen Hang zum Kitsch unumwunden zu, „wir sind da oben über der kleinen Stadt und zerren das Mondlicht herunter.“

Während Cellos schmachten und Gitarren schmelzen wird immer wieder die Kraft der Liebe beschworen, die Einsamkeit beklagt und Beziehungsbedingungen durchdekliniert. Die Welt kann warten, singt Berquist, wenn man sich nur fest genug im Am hält. Und wenn einem nichts mehr bleibt, heißt es im nächsten Song, kann man immer noch träumen. Dazu türmt sich Wohlklang auf Wohlklang, bis selbst das Cinesmascope-Format gesprengt wird. Das wird mit der gelackten Produktion auf „Films for Radio“, ihrer ersten Veröffentlichung auf einem Major-Label, durchaus zum Problem. Auf ihren früheren Platten schwächte eine gewisse, wenn vielleicht auch ungewollte Ungeschliffenheit manchen epischen Schmachtfetzen erfolgreich ab.

Halbwegs überregional bekannt wurde der Stolz Ohios erst, als Margo Timmins, ihres Zeichens Sängerin der Cowboy Junkies, das Ehepaar zu ihrer Lieblingsband erkor, sie wiederholt ins eigene Vorprogramm hievte und immer wieder als Begleitmusiker engagierte. Fortan spielte man denn auch mit David Byrne, Emmylou Harris und sogar Bob Dylan. Ein Autor von „Akte X“ scheint ein großer Fan zu sein und schrieb eine mit Insider-Scherzen gespickte Folge der Mystery-Serie, in der zwei Charaktere Karin Bergquist und Linford Detweiler heißen. In Berlin wärmen sie nun wieder für die Junkies auf, die ihre leisetreterischsten Tage hinter sich haben und ab und zu gar mal die Gitarren bratzen lassen. So gesehen sind Over The Rhine vielleicht sogar die bessere Alternative, sich mal wieder verträumtes Händchenhalten vertonen zu lassen.

„Vielleicht bleiben wir für immer ein Underground-Phänomen“, wird Bergquist zitiert, „aber das ist vielleicht die Schönheit von Over The Rhine. Vielleicht sind wir ein Independent-Film, ein handgeschriebenes Tagebuch, eine geheime Liebe.“ Trotzdem: Im Vergleich zum Jim Jarmusch der Cowboy Junkies klingen sie eher wie die Versuche von Sam Raimi mit A-Ästhetik immer noch B-Pictures zu produzieren. THOMAS WINKLER

Mit den Cowboy Junkies am 27.10., 20 Uhr im BKA-Luftschloß, Schloßplatz, Unter den Linden