Seit vierzig Jahren: Ihr und wir

Vor 40 Jahren trat das deutsch-türkische Anwerbeabkommen in Kraft

Wer sind wir eigentlich?

Am 30. Oktober 1961 ist das deutsch-türkische Anwerbeabkommen in Kraft getreten. Nach vierzig Jahren stellt sich die Frage: Was wäre Deutschland ohne seine Türken? Eine muffige, selbstgerechte, kleinbürgerliche und langweilige Bratwurst- und Eisbeingesellschaft? Oder ein Ort teutonischer Harmonie und Friedfertigkeit? Wir wissen es nicht – wir wissen nur so viel: Wie keine andere Einwanderergruppe haben die Millionen vorübergehend oder auf Dauer in Deutschland lebenden Türken die Republik verändert.

Der Beitrag der ehemaligen Gastarbeiter zum wirtschaftlichen Wachstum ist in der Vergangenheit bereits hinreichend gewürdigt worden. Ebenso bekannt ist, dass die Türken die Deutschen lehrten, dass Straßen und Plätze nicht nur Räume für den Autoverkehr sind und Grünflächen auch als Stätten der Kommunikation und der Erholung genutzt werden können.

Vergessen wird dagegen regelmäßig, dass die Türken allein durch ihre physische Präsenz seit Jahrzehnten politische Diskussionen beleben. Sie zwingen die Bundesbürger zur Stellungnahme: Ist Deutschland ein Einwanderungsland oder nicht? Wie viele Einwanderer in einem Stadtviertel sind sozialverträglich? Wollen wir islamische Schulen? Anatolische Polizisten? Das kommunale Wahlrecht? Ein neues Staatsangehörigkeitsrecht? Die doppelte Staatsbürgerschaft? Muttersprachlichen Unterricht an den Schulen? Türkische Richter und Staatsanwälte? Repräsentative Moscheen und islamische Schulen?

Seit vierzig Jahren sind die Türken Katalysatoren bei der Suche nach Antworten auf die alten deutschen Fragen: Wer sind wir eigentlich – als Kulturnation, als Gesellschaft, als politische Sozietät? Wer wollen wir künftig sein? Türken stiften deutsche Identität. Und diese sieht inzwischen anders aus, als dies heute viele noch glauben. Mehr dazu lesen Sie in den Interviews mit dem Kieler Autor Feridun Zaimoglu, der Berliner Friseurin Kaya Tutu und in dem Beitrag des Kabarettisten Musin Omurcu.

ESE

taz-dossier SEITEN 3, 4 und 5