Westfälischer Wirtschaftsfriede mit Kohl

Mit einjähriger Verspätung hat der Exkanzler in Münster den Westfälischen Friedenspreis entgegengenommen

MÜNSTER taz ■ „Sehr verehrter Herr Bundeskanzler“, begann Horst Annecke seine Rede – nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Der Mann ist Chef der preisverleihenden „Wirtschaftlichen Gesellschaft für Westfalen und Lippe e. V.“, einer Vereinigung von Bänkern und Wirtschaftsbossen. Am Samstag nahm Helmut Kohl den „Westfälischen Friedenspreis“ entgegen; wie stets in solchen Fällen: ein bisschen gerührt über sich selbst, dabei ganz europäischer Staatsmann mit Visionen. Im Rathaus zu Münster, wo 1648 mit dem „Westfälischen Frieden“ der 30-jährige Krieg beendet wurde. Worauf sich denn auch der „Friedenspreis“ bezieht.

Der ist zweigeteilt. Je 50.000 Mark gehen an einen Prominenten und eine engagierte Jugendgruppe. Erster Preisträger 1998 war Vaclav Havel. Ihm folgen sollte Kohl im Sommer 2000, gekürt von einer „hochkarätigen“ Jury um Exbundesbankboss Heinrich Tietmeyer, den früheren Bundesbeauftragten Hans Koschnick und Dänemarks Expremier Poul Schlüter. Wegen seiner Verdienste um die deutsche Vereinigung und die EU.

Dann aber kam „Bimbes-Gate“ dazwischen, Kohls „Ehrenwort“-gebundenes Verschweigen angeblicher Spender von Schwarz-Millionen, der fortdauernde Verstoß gegen Artikel 21 Grundgesetz. Und siehe da, selbst in der örtlichen CDU erschien die Nähe zum Ehrenvorsitzenden nicht mehr so richtig opportun. Ende Januar 2000 hatte Oberbürgermeister Berthold Tillmann (CDU) eine Zusage über 150.000 Mark zur Gestaltung eines „würdigen Rahmens“ der Verleihung gestoppt. So entschied die WWL in Absprache mit Kohl, den Akt auszusetzen.

Jetzt war es so weit. OB Tillmann bereitete dem hohen Parteifreund „natürlich“ einen festlichen Empfang. Im Friedenssaal trug Kohl sich ins goldene Buch ein, trank einen Schluck aus dem „Goldnen Hahn“ und sprach über die „Geschichte“, die hier spürbar sei. Ohne uns, sagten oppositionelle SPD und Grüne und blieben empört fern. Die Fakten hätten sich schließlich nicht geändert. Für die WWL stand die Preiswürdigkeit Kohls nie in Frage. Spendenaffäre hin oder her. Und hier habe die Bonner Staatsanwaltschaft das Verfahren ja eingestellt. Wer nun noch meckere, habe womöglich andere Motive.

Der Münsteraner Verein Bürgernetz hatte vorher im Internet abstimmen lassen. Auf die Frage „Wann soll Helmut Kohl den Preis bekommen?“ antworteten rund 500 Menschen: 2 Prozent mit „später“, 21 Prozent mit „jetzt“ und 77 Prozent mit „nie“. Wie sprach doch der von Kohl ausgesuchte Laudator, der Londoner Verleger Lord George Weidenfeld: „Es ist das Schicksal großer Männer und Lenker der Geschicke ihrer Zeitgenossen, zeitweise missverstanden zu werden.“ MARCUS TERMEER