Türkçede heimat yok

Im Türkischen gibt es Heimat nicht: Heimatlos lässt sich sehr gut leben. Es erleichtert das Gefühl, „zu Hause“ zu sein. Mit diesem Faktum werden eher die „Anderen“ nicht fertig, die auf eine Heimat Wert legen. Das können Türken sein oder Deutsche

von CEM SEY

Warum muss ich immer über Dinge schreiben, die ich nicht verstehe? Nun will ein Redakteur mit holländischem Namen, dass ich für die taz über den Begriff „Heimat“ schreibe. Er selbst sagt, er habe längst mit dem Thema abgebrochen. Ich doch auch!

Ich weiß nicht, was „Heimat“ ist, wo Menschen das Heimatgefühl herleiten. In der deutschen Sprache gibt es einen Unterschied zwischen „Heimat“ und „Vaterland“. Anders in der türkischen Sprache. Da gibt es nur einen Begriff für beides: „yurt“. Wo ist der Unterschied? Ist das Wort „Heimat“ angenehmer für Deutsche, die sich aufgrund ihrer Geschichte schämen, von „Vaterland“ zu sprechen?

Ich vermute, dass all diese Begriffe, unabhängig von der Sprache, in engem Zusammenhang mit Nationalgefühlen stehen. Denn Menschen mit Nationalgefühlen haben selten Schwierigkeiten, ihre Heimat zu definieren. Wenn sie Türken sind und darauf Wert legen, ist die Türkei ganz klar ihre Heimat. Auch wenn sie seit 40 Jahren in Deutschland leben?

Das wird bei mir schwierig. Ich war türkischer Staatsbürger, jetzt habe ich den deutschen Pass. In mir fließt tscherkessisches, österreichisches, türkisches und wahrscheinlich auch tschechisches Blut. In den Unterlagen des Vereins der ausländischen Korrespondenten werde ich sogar unter den amerikanischen Journalisten aufgelistet. Wie soll ich wissen, was und wo meine Heimat ist?

Ich weiß, dass es viele andere Mischlinge gibt auf der Welt. Und es gibt Menschen, die entweder in ihrem Stammbaum verschiedene Nationalitäten haben oder trotz ihrer „reinen“ Verhältnisse mit jeglicher Art des Nationalismus gebrochen haben. Mir fällt auf, dass auch diese Menschen nicht nur mit dem Begriff „Heimat“ Probleme haben, sondern tatsächlich kein „Heimatgefühl“ entwickeln können.

Wer nun denkt, dass wir unter diesen Umständen leiden, der irrt. Gerade dieser komplizierte Hintergrund ermöglicht mir zum Beispiel, mich überall „zu Hause“ zu fühlen. Ich habe mich selten fremd gefühlt, höchstens ungleichberechtigt. Dagegen kann man kämpfen. Heimatlos lässt sich sehr gut leben. Mit diesem Fakt werden eher die „Anderen“ nicht fertig, die auf eine Heimat Wert legen. Oft wollte man mich dazu bringen, zu sagen, ich sei ein Türke. Einige gingen sehr weit, nannten mich einen Verräter. Heute nerven mich Deutsche. Zu oft muss ich auf die Frage antworten, ob meine Heimat die Türkei oder Deutschland sei. Ich werde wütend, wenn so mancher sich im eigenen Heimatgefühl gestärkt fühlt, sobald er erfährt, dass ich mich habe einbürgern lassen. Tatsache ist, dass mein „Lebensmittelpunkt“ Deutschland ist. Romantischer wird es beim besten Willen nicht.

In Deutschland gibt es eine weitere Gruppe von Menschen, die durchaus ein Heimatgefühl haben, aber dies nicht mit Nationalgefühlen in Zusammenhang bringen wollen, meist Linke. Sie argumentieren, „Heimat“ sei der Ort, wo man sich wohl fühlt, wonach man sich sehnt. Demnach wäre Italien meine Heimat. Das ist das Land, wo ich mich wohl fühle. Dort würde ich auch gern mein Lebensabend verbringen.

Aber ich fürchte, das ist nicht gemeint. Sondern auch bei dieser Gruppe geht es um bestimmte Werte und Verhaltensformen, an denen sie sich festklammern. Wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass dies deutsche Werte sind. Also doch „Nationalgefühl“? Ach, ich werde es nicht verstehen. Ich kann höchstens schreiben, dass man mich von der Diskussion über „Heimat“ schonen soll. Über „Heimat“ selbst kann ich nichts schreiben, weil ich dieses Gefühl nicht nachvollziehen kann. Ich rufe morgen den netten holländischen Redakteur an und sage ab.

Cem Sey, 38, lebt seit 1982 in Berlin. Er ist freier Journalist, u. a. für CNN Türk.