Ein Zaun ist dann unvermeidlich

■ Der neue israelische Botschafter Shimon Stein besucht Bremen. Der 11. September ist für ihn eher ein Meilenstein denn eine Zäsur

„Der 11. September war für uns Israelis keine Zäsur, sondern ein Meilenstein in einer Entwicklung, die viel früher begonnen hat.“ Mit diesen Worten charakterisierte Shimon Stein die aktuelle weltpolitische Situation. Der neue Botschafter Israels in der Bundesrepublik machte vorgestern seinen Antrittsbesuch beim Bremer Senat. Am Abend referierte Stein im Rathaus nicht nur über die Lage im Nahen Osten.

Eingeladen zu diesem Vortrag hatten neben der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Bremen, vertreten durch den grünen Vizebürgerschaftspräsidenten Hermann Kuhn, die Bremer Freunde Israels. Das Publikum im edlen Kaminsaal mit seinen dunkelrotbeteppichten Wänden war dem früheren politischen Referenten der israelischen Vertretung in Bonn entsprechend wohlgesonnen. Es gab interessierte Rückfragen zu strategischen Einschätzungen, aber keine Kritik oder auch nur beherzte Worte zur Besatzungspolitik wie kürzlich von Günter Grass, der sich immerhin ausdrücklich als Freund Israels bezeichnet. Die etwa 100 ZuhörerInnen waren überwiegend jenseits der Vierzig, zumeist gut gekleidete HonoratiorInnen der Hansestadt, unter ihnen Henning Scherf. Eine Gruppe von etwa 15 Heeres-Offizieren einer benachbarten Kommandeurstagung fiel durch ihre feldgrauen Ausgehuniformen auf. Jüngere Leute in Palästinensertüchern fehlten. Die Sicherheitsüberprüfung im Eingangsbereich war streng, erfolgte aber freundlich.

Stein, der an der Hebräischen Universität Jerusalem neuere Geschichte studiert hatte, zeigte, dass er über ausgezeichnete Kenntnisse der politischen Lage verfügt. Seit 1974 steht er im Dienst des israelischen Außenministeriums. Seiner Auffassung nach ist es bereits Anfang der 90er Jahre zu einer Wende gekommen. „Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes und dem Golfkrieg befinden wir uns im Übergang zu neuen, diffusen Bedrohungen. Der Terror umfasst heute auch den nichtkonventionellen Bereich.“ Stein verwies darauf, dass die von Israel als sehr problematisch eingestuften Staaten Irak und Iran über chemische und biologische Waffen verfügten.

Im Westen hätten die Anschlägen zu einem Erwachen geführt: „Für die Amerikaner ist der 11.9. das, was für uns der Jom-Kippur-Krieg war: ein Abschied von der Illusion, dass das Mainland unverwundbar ist.“

Stein erteilte bestimmten Interpretationen des islamischen Terrors eine klare Abfuhr: „Das Bin-Laden-Phänomen hat mit dem Nahost-Konflikt gar nichts zu tun.“ Mit dieser Einschätzung stellte Stein sich gegen die Vermutungen mancher politischer Analysten, el Qaida und andere fundamentalistische Terrorgruppen zögen ihre Nahrung aus dem ungelösten Palästinenser-Problem. „Unter den Attentätern waren auffällig viele Saudis, aber kein einziger Palästinenser.“ Die Palästinenser seien selbst Opfer der zwar viel beschworenen, aber real wenig existenten arabischen Solidarität: „Was haben die Saudis mit ihrem großen Vermögen für die palästinensischen Brüder und Schwestern in den Lagern getan?“, fragte er.

Die einzige Chance liegt nach Stein augenblicklich in der Umsetzung des so genannten Mitchell-Planes. „Nach einer Feuerpause und einer Abkühlungsphase könnten vertrauensbildende Maßnahmen folgen. Militärisch könnten wir uns dann auf die Positionen vor dem Beginn der zweiten Intifada zurückbewegen. In ökonomischer Hinsicht müsste der Wirtschaft in den Autonomiegebieten geholfen werden“, sagte Stein.

Der Diplomat schätzte die momentanen Chancen für den Friedensprozess aber als schwierig ein: „In Israel wachsen die Stimmen, die sich für eine Trennung von den Palästinensern aussprechen. Wie das aussehen würde, weiß keiner ganz genau. Wir kämen aber wohl nicht um den Baus eines Zaunes oder einer Mauer umhin, um potentielle Attentäter aus Israel herauszuhalten.“

Stein hielt eine dauerhafte Lösung des Israel-Palästina-Konfliktes mit Arafat für nicht mehr möglich. „Arafat als Flüchtling beharrt auf dem Rückehrrecht der Vertriebenen. Wir können es uns bei einer Million arabischer Israelis und sechs Millionen Einwohnern insgesamt nicht leisten, 3,7 Millionen palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen. In kürzester Zeit wären wir eine Minderheit im eigenen Land. Wir wollen aber auf jeden Fall den jüdischen Charakter Israels aufrechterhalten.“ Die Lösung des Flüchtlingsproblems hält Stein für sehr wichtig. „Sie muss aber innerhalb der jetzigen Palästinenser-Gebiete stattfinden.“

Israel setze seine Hoffnungen auf die Post-Arafat-Generation aus dem Gaza-Streifen und der Westbank. „Die sind kompromissbereiter“, vermutet der Botschafter. Die palästinensische Autonomiebehörde und Arafat blieben aber vorläufig der Verhandlungspartner für etwaige Zwischenabkommen. Stein zufolge müsste Arafat allerdings den 11.9. zum Anlass für einen Kurswechsel nehmen. „Arafats Entscheidung, im September 2000 auf die Intifada zu setzen, war falsch. Seine Bilanz ist negativ. 700 tote Palästinenser, 180 tote Israelis, und die Wirtschaft ist nicht nur in den Autonomiegebieten im Keller.“ Thomas Gebel