Mit 1999 auch nach 45
: Historiker von unten

■ Altautonomer „Carlo“ Roth reicht Redaktionsstab nach Bremen weiter

„Es handelt sich um einen freundschaftlichen Generationenwechsel“, sagt Karl-Heinz „Carlo“ Roth. Der doppelt promovierte Arzt und Historiker sowie altautonome Intellektuelle hatte gemeinsam mit Angelika Ebbinghaus und dem Amsterdamer Marc van der Linden lange Jahre „1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ redaktionell betreut. Nun zieht sich die First Generation aus der laufenden Redaktionsarbeit der 1986 gegründeten Zeitschrift zurück und gibt den Stab an ein junges Team weiter. Die drei beschränken sich auf Beratung und Herausgeberschaft, steuern aber auch weiterhin inhaltliche Artikel bei.

Mit dem Redaktionswechsel ist nicht nur der Sitz der Zeitschrift „1999“ von Hamburg nach Bremen verlegt worden. Auch das Archiv und die Bibliothek zogen an die Weser und fanden in der Universität Unterschlupf. Die neue Redaktion will die Konzeption des Heftes geringfügig verändern. Schon seit einigen Jahren erscheinen nur noch zwei statt der ursprünglichen vier Ausgaben pro Jahr. „Wir machen jetzt Schwerpunkthefte. Früher hat man eher alles genommen, was so kam“, erklärt Marc Buggeln, einer der Neuen. Der Historiker bereitet gerade seine Promotion vor.

Zugleich erweitert 1999 seinen historischen Bezugsrahmen. Die Zeitschrift hatte sich bisher hauptsächlich mit der Zeit des Nationalsozialismus befasst. Es war ihr Verdienst, die Debatte um die Zwangsarbeit wesentlich angeschoben zu haben. „Wir haben sogar konkrete Forderungen nach Entschädigungen erhoben. Das ist für eine wissenschaftlich-historische Zeitschrift schon ungewöhnlich“, sagt Buggeln. Künftig will sich 1999 auch mit der Zeit nach 1945 beschäftigen. Neu im Heft ist zudem der jeweils aktuell gehaltene Kommentar. „Den Pfad kritischer Sozialgeschichtsschreibung von unten wird die neue Redaktion aber nicht verlassen“, versichert Buggeln. Heute abend stellen „Carlo“ Roth und Nachwuchs-Redakteur Tobias Mulot ihre Beiträge des aktuellen Heftes vor. Es trägt den Titel „Neoliberalismus - Liberale Herrschaften“ und beschäftigt sich unter verschiedenen Gesichtspunkten mit dem Thema Neoliberalismus. „Als wir die Planung für dieses Heft vor anderthalb Jahren gemacht haben, konnten wir nicht ahnen, dass es angesichts von Genua und dem 11. September eine besondere Aktualität dieses Themas geben würde“, sagt Buggeln.

Thomas Gebel

Landeszentrale für politische Bildung, Osterdeich 6, 20 Uhr.