Dreimal täglich Wassertest

US-amerikanische Städte und Kommunen kennen nur noch ein Thema: Sicherheit. Alte Katastrophenschutzpläne werden hervorgezogen, neue entwickelt. Doch es fehlt an Geld

WASHINGTON taz ■ Die Angst vor weiteren Terror-Anschlägen geht um. In Charleston, im Bundesstaat South Carolina, müssen alle Mitarbeiter der städtischen Wasserbetriebe und private Klempner nun eine spezielle Erkennungsmarke tragen. In Florida werden Besucher von Football-Stadien gebeten, sogar Windeltaschen am Eingang abzugeben. In Baltimore kontrollieren die Schulbehörden täglich, wieviele Schüler in ihren Klassen fehlen, um möglichst früh Hinweise auf einen Anschlag mit Krankheitserregern zu erhalten.

Von Savannah bis Sacramento – US-amerikanische Städte befinden sich in einem andauernden Alarmzustand. Probleme wie Kriminalität, Obdachlosigkeit und Hundedreck auf Bürgersteigen, die sonst das Leben bestimmt haben, sind von der lokalen Agenda fast völlig verschwunden. Es gibt nur noch ein Thema: Sicherheit.

Bis zum 11. September hatten die meisten Städte irgendeine Form von Notfall-Plan in der Schublade. Diese waren jedoch für Tornados, Fabrik-Unfälle oder andere Formen konventioneller Desaster ausgelegt. Nur einige Kommunen waren, wenn überhaupt, auf diffuse Szenarien biologischer oder chemischer Anschläge vorbereitet. Nun beeilen sich städtische Behörden, die Schwachstellen aufzudecken und zu beseitigen. Ärzte werden trainiert, die Kommunikation zwischen Polizei und Gesundheitsämtern verbessert, Antibiotika gelagert, Gasmasken und Schutzanzüge gekauft.

„Wir sehen, was in Washington in den vergangenen Tagen geschehen ist. Nicht einmal die Hauptstadt kann garantieren, dass ihre Postmitarbeiter sicher sind“, gibt Cameron Whitman vom nationalen Städteverband zu bedenken. Kein Ort sei wirklich gut vorbereitet. Um das zu ändern, hat in Baltimore der engagierte Bürgermeister Martin O'Malley kurz nach dem 11. September die Sache selbst in die Hand genommen. „Wenn wir auf Rat und Hilfe aus Washington gewartet hätten, würden wir wahrscheinlich immer noch God save the Queen singen.“

Andere sind seinem Beispiel gefolgt. Eine Umfrage des Städteverbandes besagt, dass 90 Prozent aller Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern ihre Notfallpläne seither überarbeitet haben. Zwei Drittel der Kommunen hat die Sicherheit ihrer städtischen Wasserversorgung deutlich erhöht. Ein Großteil der Stadtverwaltungen bemüht sich um spezielle Anti-Terror-Schulungen und hat längst auf Eis gelegte Katastrophenschutzübungen wieder aufgenommen.

„Es sind die kleinen und mittleren Städte, die völlig neue Wege gehen müssen“, sagt Whitman. Manche, wie Baltimore, sind dabei konsequenter als andere. Dreimal am Tag testen die städtischen Gesundheitsämter die Wasserqualität.Wichtigen Wasserspeicher werden rund um die Uhr bewacht. Ein Katastrophen-Rat aus Feuerwehr, Polizei und Gesundheitsamt tagt fast täglich. Hospitäler unterrichten Behörden permanent über verdächtige Krankheitsfälle.

Vier Wochen verbrachte ein Anti-Terror-Spezialist in der Stadt, gab Empfehlungen für den Schutz potentieller Angriffsziele wie den Container-Hafen. Vor allem die Kommunikation zwischen den Geheimdiensten auf lokaler und bundesstaatlicher Ebene muss in Zukunft verbessert werden. Als die Bundespolizei FBI vergangene Woche zum Beispiel Informationen über einen bevorstehenenden Milzbrand-Anschlag auf Baltimore erhielt, wurden alle zuständigen Stellen sofort in Alarmbereitschaft versetzt. „Früher, vor dem 11. September, hätte das FBI solche Informationen nicht vor Ablauf von vier Wochen an uns weitergeleitet, um zu überprüfen wie glaubwürdig diese Hinweise sind“, sagt O'Malley.

Die Sicherheit hat ihren Preis. Seit nunmehr über vierzig Tagen schieben die Polizisten von Baltimore täglich Überstunden. Sollte das für den Rest des Jahres so bleiben, werden die Einsätze ein Loch von 10 Millionen Dollar in die Stadtkasse reißen. Baltimore versucht daher mit privaten Wachdiensten zu kooperieren und so Lücken im System zu schließen.

Manche Städte denken bereits an drastische Maßnahmen, um Schutzanzüge und Trainingsprogramme zu finanzieren. So plant zum Beispiel Seattle, die Eigentumssteuer einmalig um drei Millionen Dollar zu erhöhen. Die Hoffnung, dass Washington den lokalen Behörden mit mehr Geld unter die Arme greift, entpuppte sich jedoch bislang als Wunschdenken. Lediglich drei Prozent der von der amerikanischen Regierung zur Bekämpfung des Terrors bereitgestellten 9 Milliarden Dollar gingen vor dem 11.September direkt an die Kommunen. Wieviel Geld sie aus dem neuen Anti-Terror-Paket erhalten werden, bleibt ungewiss.

MICHAEL STRECK