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Einzelfallhelfer und Zivilisator

Gut macht Mut: Blumfeld spielten im ColumbiaFritz und erklärten uns die Liebe, den Krieg und andere miese Lagen

Ach wie gut das tut. So ein Blumfeld-Konzert ist eben doch eine Art moderner Erbauungsgottesdienst. Distelmeyer macht Mut! Wenn seine Mannen und er im Refrain singen: „Angst davor wie’s weitergeht und vorm alleine sein“, dann trifft das schon ziemlich genau das derzeitige Lebensgefühl. Und wenn er dann am Ende des Songs für Kristof Schreuf von Brüllen so was wie „hey ladies“ nuschelt, dann ist da eben doch auch dieser Funke Ironie, der die Sache von der latenten Peinlichkeit zur Aufrichtigkeit transformiert. Warum also immer die Absagen an die Ironie? Ironie ist weiter eine der schärfsten Waffen der Subversion. Und schon verfällt man in diesen scharfen Tonfall der Popdiskursler. Dabei ist ein Abend mit Blumfeld einfach auch Spaß.

Jochen Distelmeyer, unser Mann aus Hamburg, ist weiterhin die Ich-Maschine, die unser eigenes Ego spiegelt und uns abends am Fenster „Tausend Tränen tief“ mitsingen lässt, bis uns fast das Heulen kommt. Bei einem Konzert mit Blumfeld können Positionen neu überprüft werden. Eine große Gefahr wäre für Distelmeyer eine übermäßige Identifikation seiner Fans mit ihm. Diese Gradwanderung, an der viele Popstar scheitern, ist für Distelmeyer konstitutiv. Er grenzt sich, wie auf dem neuen Album „Testament der Angst“, von den „Angepaßten“ ab, was auf den ersten Blick ziemlich arrogant wirkt. Doch diese Grenzziehung gilt auch uns gegenüber, wirklich erreichbar ist seine Person für uns nicht.

Wie er da so steht, linke Bühnenhälfte, Gitarre umgeschnallt, wirkt er aber eigentlich ziemlich zufrieden, auch nicht mehr so scheu. Sympathischer als seine Interviews. Er spielt ein paar Stücke, sagt Dankeschön und sonst erstmal nichts. Die Auswahl der Stücke ist zunächst auch programmatisch genug. Eröffnet wird der Reigen mit „Mein System kennt keine Grenzen“. Es folgt, fast schon zu sehr Kommentar zur Weltlage, „Testament der Angst“. Damit sind die Eckpfeiler der kommenden zwei Stunden eingerammt.

Distelmeyer hat – und das ist ja auch Zeichen, die Ohren und Augen besonders weit offen zu haben, die angespannte Lage schon vor dem 11. September gespürt. Seine Absage an NATO, USA und Europa als Verteidigungssysteme gegen Feinde, von denen sie wollen, dass wir meinen, sie seien auch unsere, wirkt nun wie eine Antwort. Distelmeyer aber kann nichts so wenig wie antworten. Er horcht einfach in sich hinein und da er „kein Einzelfall“ ist und auch noch ziemlich schlau, kann er die Systemanalyse weitgehend aus dem Bauch heraus leisten. Womit wir denn auch, umständlich, beim oben vergessenen Eckpfeiler Liebe wären.

Auch zu diesem Themenkomplex macht Jochen, jetzt nennen wir ihn mal Einzelfallhelfer, eine Ansage, um uns das auch mal zu erklären. Das mit den Liebesliedern, worüber ich mich nach Old Nobody heftig mit meiner Freundin gestritten hatte, ist nämlich in etwa so: Die Songs sind eben keine Lösung. Auch die Liebe selbst ist natürlich in einem politischen Kontext keine Lösung. Trotzdem zu Liebesgefühlen zu stehen, ist aber eben eine der großen, öhm, zivilisatorischen Leistungen des Distelmeyers. Denn mit diesem Schritt hat er es vermocht, den Schlager für sich zu vereinnahmen und nicht umgekehrt.Zum Ende hin dann noch „Verstärker“ und anderes, musikalisch etwas Punkigeres aus der Frühphase der Ich-Maschinisten. Und übrigens, wir sollen, sagt Jochen, nicht immer nur beim Milchkaffee über die miese Lage räsonieren, wir sollen, damn it, auch etwas dagegen tun. ANDREAS BECKER

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