: Bauen zum Selbstkostenpreis
In der Steinstraße in Berlin-Mitte wird am Traum vom bezahlbaren Wohneigentum gebastelt. Durch den Verzicht auf einen Bauträger und niedrigen Energieverbrauch sollen die Kosten gesenkt werden
von TILMAN VON ROHDEN
Berlin war anders. Mit anständigen Demos, wilden Straßenkämpfen, die nicht als alternativer Sonderurlaub verstanden wurden, und richtigen Hausbesetzungen. Alles aus und vorbei.
Christian Schöningh würde in diese Szenerie aus Wille und Gewalt gut reinpassen: ein großer breitschultriger Mann in Leder mit mehr oder weniger langen Haaren, rasiert und dennoch mit einem Hang zum Dreitagebart. Statt mit der üblichen Kutsche reist er mit einem Motorroller umher. Sein schwarzer visierloser Helm erinnert an ein Gesetz, das solche Artikel zuzeiten verbietet.
Doch Schöningh ist kein Anarchist, Hausbesetzer oder dergleichen. Schöningh ist Familienvater, Geschäftsmann und Architekt, ausgestattet mit einem kritischen Erinnerungsvermögen: „Hausbesetzungen sind einfach nicht mehr angesagt. Wer nach alternativen Wohnformen strebt, muss andere Wege gehen als in den 80er-Jahren.“ Mit mehreren Freunden versuchte er ein Projekt in den Fehrbelliner Höfen aufzuziehen, doch nach langwierigen Verhandlungen zeigte die Treuhand plötzlich die kalte Schulter. Ausgeträumt.
Ein zweiter Versuch in der Steinstraße in Mitte, einer Nebenstraße der Rosenthaler Straße, war erfolgreich: Die Planungen sind abgeschlossen, nächstes Jahr wollen 30 Beteiligte in die 22 Wohn- und 8 Gewerbeeinheiten einziehen. Ein hausbackener Altbau und ein durch gläserne Erker auffallender Neubau, die zusammen einen begrünten Hof einfassen, regieren die Idee, die flexible Bauweise von Fabriken für bürgerliche Wohnformen zu nutzen. Eine Stützenkonstruktion aus Beton trägt den Neubau und lässt so im Inneren eine große Vielfalt individueller Wohnungsgrundrisse zu. Selbst massive Wände können ohne Rücksicht auf das Tragesystem nach Gusto hochgezogen werden. „Ich baue keine Quadratmeter, sondern Kubikmeter“, umschreibt Schöningh sein Konzept, das er wegen der Flexibilität besonders für Familien mit Kindern geeignet hält.
Gleichzeitig will der Architekt mit einem Büro in der Reinhardtstraße das erste innerstädtische Drei-Liter-Haus errichten. Der niedrige Energieverbrauch beruhe auf einer konsequenten Wärmedämmung und einer kontrollierten Be- und Entlüftung mit einem integrierten System zur Wärmerückgewinnung. 80 Prozent der Energie, die bei der Lüftung verloren gehe, gewinne die Einrichtung zurück.
Die 30 stolzen Bauherrn werden aber nicht wie üblich Eigentümer ihrer Wohnungen oder Gewerbeeinheiten, denn das Projekt ist als geschlossener Immobilienfonds in der Rechtsform einer GmbH & Co KG geplant. Diese Gesellschaft ist Eigentümerin zweier zusammengelegter Grundstücke und der Gebäude, die die Nummern 26–28 tragen. Die Bauherrn sind Kommanditisten dieser Eigentümergesellschaft, die in der Bauphase vom Projektentwickler Basc.et wirtschaftlich geführt wird.
Für Schöningh ist sozialer Wohnungsbau heute nur mehr als Programm zur Bildung privaten Eigentums denkbar. Diesem Credo widerspricht die rechtliche Konstruktion, die die Beteiligten eben nicht zu Eigentümern macht, nur auf den ersten Blick. Denn die Bauherrn haben das Recht, die Gesellschaft zu verlassen, um Eigentümer zu werden, sobald die Gebäude fertig gestellt sind. In der Bauphase tragen sie das wirtschaftliche Risiko inklusive unvorhergesehner Kostensteigerungen, da es die bei solchen Projekten übliche Bauträgergesellschaft nicht gibt. Der Vorteil sei, so Schöningh, dass die Wohnungen zum Selbstkostenpreis errichtet werden könnten. Denn die hohen Gewinnmargen, die Bauträger normalerweise auf die Baukosten draufsatteln, würden eingespart. Dadurch ergibt sich ein Baupreis, der rund 1.000 Mark pro Quadratmeter unter dem derzeit in Mitte gängigen Investitionsvolumen liegt.
Dennoch sind die Hürden für die Bauherrn nicht zu unterschätzen. Denn die Eigenkapitalquote beträgt immerhin 30 Prozent des gesamten Finanzierungsbedarfs von rund 11,75 Millionen Mark, die Mindesteinlage beläuft sich auf 50.000 Euro. Ist diese Hürde einmal genommen, kommt laut Plan eine monatliche Nettokaltmiete zwischen 11 und 17 Mark pro Quadratmeter auf den Mieter zu.
Die juristische Unterfütterung des Bauprojektes Steinstraße erinnert an die vom Berliner Senat protegierten eigentumsorientierten Genossenschaften. Doch Schöningh bevorzugt sein Modell: „Genossenschaften sind rechtlich aufwändig, teuer und in der Praxis oft unbeweglich.“ Dagegen sei ein Dasein als Kommanditist stärker an den individuellen Lebensentwürfen orientiert. Jederzeit könne man die Gesellschaft unkompliziert verlassen, um beruflich oder privat neue Wege zu gehen.
Diese Flexibilität erkaufen die Kommanditisten unter Verzicht auf die vom Senat angebotene finanzielle Förderung von Genossenschaften. Negativ zu Buche schlägt auch die rechtliche Eroberung neuer Ufer. Denn, so Schöningh, da niemand voraussagen könne, wie lange die Gesellschaft bestehen bleibe und wann die Kommanditisten zu Eigentümern mutieren, hätten die preisgünstigeren Hypothekenbanken nicht einsteigen mögen. Es blieben die Großbanken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen