Nur noch eine Meinung auf der Welt

Am 11. September kam der „patriotische Journalismus“ zurück nach Amerika – und damit auch über den Atlantik. Unkritische Berichterstattung ist die Folge. Auch bei deutschen Medien zeichnet sich ein subjektiver Umgang mit Nachrichten ab

von TOBIAS MOORSTEDT
und JAKOB SCHRENK

Vielleicht ist Dan Rather ein gutes Beispiel. Vielleicht kann man an Dan Rather beobachten, was „Zeiten wie diese“ mit dem Journalismus anstellen. Am 11. September stand der Nachrichtenchef des US-Fernsehsenders CBS weinend in New York. Eine Woche später saß Dan Rather weinend auf der Couch bei David Lettermann. Noch einmal vier Wochen später tauchte er schon wieder als Nachricht auf dem Bildschirm auf: Seine Assistentin hatte einen Brief geöffnet und erkrankte an Milzbrand.

Die amerikanischen Journalisten mussten die erschreckende Beobachtung machen, dass sie selbst in den Kampf verwickelt sind, über den sie eigentlich doch nur berichten wollten. Die fünf größten US-Fernsehsender – ABC, CBS, CNN, NBC und Fox – trafen vor einiger Zeit erstmals in ihrer Geschichte eine Übereinkunft mit dem Weißen Haus: Sie entsprachen den Forderungen der Bush-Regierung und werden Videoansprachen von Ussama Bin Laden nicht mehr „unredigiert“ ausstrahlen. Dahinter stand die Angst, Bin Ladens archaische Rhetorik enthalte einen Aktivierungscode für Schläfer, die Angst, Terroristen könnten das Fernsehen genauso kapern wie die Flugzeuge vom 11. September. Damit stellten sich die US-Medien auf die Seite des Staates. Ein bedenklicher Präzedenzfall. Passend dazu erinnerte der CNN-Chairman Walter Isaacson seine MitarbeiterInnen am Mittwoch in einem Memo daran, doch bitte nicht nur zu Gunsten der afghanischen Bevölkerung zu berichten, die „Balance“ zu wahren. Und ein namentlich nicht bekannter Senderchef wurde mit den Worten zitiert, die Absprache mit der Regierung sei ein „patriotischer Akt“. Der Begriff des „patriotischen Journalismus“ ist also wieder in der Welt. Man weiß noch nicht genau, was diese Worte bedeuten. Doch sicher ist: Sie haben etwas mit unkritischem Journalismus zu tun.

Auch in Deutschland hat sich etwas verändert. Dies zeigte sich etwa, als CDU und Bild Ulrich Wickert zwangen, sich für seinen Vergleich von Bin Laden und Bush zu entschuldigen. Damit machten sie klar: Es gibt von jetzt an nicht mehr viele Meinungen. Sondern nur noch eine. Die richtige. Absprachen zwischen Regierung und Medien lehnt zumindest das ZDF ab. „Bei jeder Absprache würden wir doch riskieren, Teil der Mobilmachung zu werden“, sagt Chefredakteur Nikolaus Brender. Die Redaktionen müssten selbst entscheiden dürfen, ob eine Information nun gefährlich sei oder wissenswert. Dagegen hat RTL, ohne überhaupt aufgefordert worden zu sein, den Anweisungen der US-Regierung bereits Folge geleistet. Bin Laden wird dort nur noch ohne Ton gezeigt. Michael Wulf, leitender Nachrichtenredakteur: „Manchmal ist es auch gerechtfertigt, Informationen nicht zu senden. Wir werden das von Fall zu Fall entscheiden.“ Und als der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos die Bild-Zeitung informierte, dass ein Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan möglicherweise bald bevorstehe, wurde er von Kanzler Schröder als Verräter tituliert. Dabei hatte Glos eigentlich nur etwas Selbstverständliches getan: nämlich den Bürger informiert.

Desinformation seitens der Regierung ist in Krisenzeiten nichts Neues. Ein gutes Beispiel dafür war der Krieg am Persischen Golf 1991. „Da wurden wir nach Strich und Faden belogen“, erinnert sich ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender. Sein nächster Satz löst das Dilemma jedoch auch nur bedingt: „Jetzt erfahren wir gar nichts mehr. Das ist mir fast schon lieber.“ Keine Fragen zu stellen, kann jedoch auch bedeuten, Entscheidungen widerspruchslos hinzunehmen. „Die Medien halten sich mit Kritik an der Reaktion des Westens schon zurück“, meint Brender. Das liege weniger an der mangelnden Kritiklust der Journalisten, sondern daran, dass einem „auch wirklich keine Alternativen einfallen“.

Anderer Meinung ist Heribert Prantl, Leiter des Innenpolitikressorts der Süddeutschen Zeitung. „Kritik an der amerikanischen Reaktion wäre schon möglich, wird aber zu wenig geübt“, sagt Prantl. Er habe noch nie so viel Kritiklosigkeit erlebt, wie in den ersten Wochen nach den Anschlägen. Stattdessen werde „das Wort ‚Krieg‘ geradezu lustvoll gebraucht“. Gut möglich, dass Prantl dabei an die großen Buchstaben der Boulevardblätter denkt, die sich im Auge des Lesers zur Panik zusammenfügen. „Angst vor dem Islam“, schreibt die Bild-Zeitung seit über sieben Wochen in regelmäßigen Abständen. Und bringt es fertig, selbst in einem solch diffusen Konflikt die Fronten klar abzustecken. „Mentale Präparation“, nennt dies Prantl, die Vorbereitung auf den Ernstfall also.

Wahrscheinlich würde niemand in der deutschen Medienlandschaft behaupten, all dies sei nun „patriotischer Journalismus“. Wahrscheinlich nicht einmal die Bild-Zeitung, die sich gegenüber der taz nicht zu ihrer Berichterstattung äußern wollte. Dennoch klingt Heribert Prantls Medienkritik plausibel. „Es mangelt vielen Journalisten am nötigen Argwohn gegenüber den Mächtigen.“ Das ist jetzt. Was passiert, wenn deutsche Soldaten an die Front geschickt werden? Wenn auch deutsche Journalisten zu Beteiligten werden? Und die Distanz schwindet? Vielleicht geraten die deutschen Medien dann nicht nur unter den Druck der Regierung, sondern auch unter den der Bevölkerung. Als der amerikanische Journalist John MacArthur nach den Terroranschlägen des 11. September kritisierte, dass bei CNN ständig die US-Flagge zu sehen sei, hatte er am nächsten morgen 100 E-Mails in seiner Mailbox. Der Tenor: „Schade, dass Sie am 11. September nicht im WTC waren.“