ARGENTINIENS WIRTSCHAFTSPAKET IST RISKANT UND UNSOZIAL: Populismus statt Reform
Welch eine Kehrtwende: Das Staatsoberhaupt des neoliberalen Musterlandes Argentinien will Geld verteilen, damit wieder mehr konsumiert wird. Es scheint, als plane Präsident de la Rua eine Umverteilung von oben nach unten – denn der Segen soll finanziert werden, indem der Staat seinen Gläubigern weniger Zinsen zahlt. Das wäre mehr als gerecht, denn Argentiniens Rentner und Familien haben es nötiger, aus dem Staatssäckel unterstützt zu werden als die Geldanleger, die bis jetzt mit argentinischen Staatsanleihen eine schnelle Mark machen konnten. Höchst sozial also, die neue Politik des Präsidenten – auf den ersten Blick.
Jeder weitere Blick zeigt jedoch, dass diese Politik ein höchst unsoziales Ende nehmen könnte. Denn was der Präsident vorhat, ist äußerst riskant: Argentiniens Schicksal liegt zu hundert Prozent in den Händen eben jener Gläubiger, die nun auf einen Teil ihrer Zinserträge verzichten sollen. Weil seine Währung mit dem Kurs von eins zu eins an den US-Dollar gekoppelt ist, braucht das Land eine enorme Menge an Devisen, die garantieren, dass der Peso jederzeit in Dollar umtauschbar ist. Und die bekommt es über Dollar-Anleihen. Deshalb sollte es das A und O jedes argentinischen Präsidenten sein, die ausländischen Gläubiger bei Laune zu halten. Das tut man aber nicht, indem man ihnen weniger Zinsen zahlt, als bei Ausgabe der Schuldpapiere vereinbart. Im Gegenteil: De la Rua risikiert, dass seine Geldgeber das Vertrauen in sein Wort verlieren – und ihr Kapital abziehen. Das hätte zur Folge, dass Argentinien den Peso aus der Dollarbindung lösen müsste. Die Währung würde massiv an Wert verlieren – und die meisten Argentinier wären noch ärmer, als sie es jetzt schon sind. Der Konsum, den der Präsident mit den Geldgeschenken ankurbeln will, wäre erst einmal abgewürgt: Gibt der Peso nach, sinkt die Kaufkraft.
Eine weitere unsoziale Folge von de la Ruas Reformpaket: Die Zinslast des hoch verschuldeten Landes nimmt weiter zu. Kredite für Argentinien werden immer teurer, wenn die Regierung in Buenos Aires mal hü, mal hott sagt. Denn Gläubiger lassen sich für solche Eskapaden entschädigen – mit hohen Zinsen. Die kommende Generation wird dann noch mehr Steuern erwirtschaften müssen, die nicht sinnvoll investiert, sondern zur Schuldentilgung verwendet werden.
So liegt der Verdacht nahe, dass de la Rua keineswegs ein geläuterter Reformer ist, sondern ein Populist, der sein daniederliegendes Image aufbessern will. Zu verlieren hat er nicht viel. Weil das Land de facto zahlungsunfähig ist, kommt das dicke Ende von Argentiniens in den Neunzigerjahren hochgepriesenem neoliberalem „Erfolgsmodell“ ohnehin. KATHARINA KOUFEN
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