Schröders China ist ein gigantischer Baumarkt

Der Bundeskanzler erlebt zum Abschluss seiner China-Visite, wie deutsche Unternehmer die Volksrepublik in einen Heimwerkermarkt verwandeln

SCHANGHAI taz ■ Kommt ein Bundeskanzler nach China, dann führt er nicht nur hochpolitische Gespräche mit hochpolitischen Funktionären, sondern muss auch enthüllen, Knöpfe drücken und auf einen Gong schlagen. Das alles tat Gerhard Schröder gestern in Schanghai zum Abschluss seines dreitägigen China-Besuches: Vor der Werkhalle, in der die Träger für die Transrapid-Trasse gebaut werden, zog er gemeinsam mit Chinas Premier Zhu Rongji an einer Strippe, um den ersten, mit rotem Stoff verkleideten „Fahrwerkträger“ freizugeben.

Schröder lobte den rasanten Baufortschritt der Magnetschwebebahn, die Anfang 2003 auf 30 Kilometern im Stadtteil Pudong dahingleiten soll. Schon jetzt säumen die grauen Betonpfeiler auf mehreren Kilometern die Straße zum Flughafen, obwohl der Vertrag erst im Januar dieses Jahres unterzeichnet worden war. Knurrte ein deutscher Projektmanager, der Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer von den Grünen im Kanzlertross erblickte: „Wenn es in Deutschland solche Leute wie sie nicht gäbe, dann könnten wir den Transrapid auch längst haben.“

Im neuen Polymertechnischen Zentrum der Bayer AG drückte Schröder kurz darauf einen Knopf, um per Computer den Bau einer 30 Kilometer entfernten Anlage des deutschen Chemiegiganten zu beginnen, die 3,1 Milliarden US-Dollar kosten soll. Weiter ging es zum neuen Werk von ThyssenKrupp, das 72.000 Tonnen Edelstahl im Jahr herstellen will. Als der Kanzler abschließend im OBI-Baumarkt in der Meichuan-Straße auf einen Gong schlagen durfte, konnte er sich schon zu Hause fühlen: Aus den Lautsprechern besang Udo Jürgens das Glück des eigenen Heims: „Mehr als vier Wände, an die man Bilder hängt . . .“ Bohrmaschinen von Bosch, Edelstahlspülen von Franke und Dübel von Fischer lagen in den Regalen der Verkaufshalle, und die chinesischen Verkauferinnen in orangen OBI-Hemden lächelten.

Verträge, Absichtserklärungen und Machbarkeitsstudien über Geschäfte in Milliardenhöhe hatten deutsche Unternehmer während Schröders China-Reise unterzeichnet und sie zum Erfolg gemacht. Doch die Schanghaier – wie viele städtische Chinesen derzeit im Wohnungskauf- und Einrichtungsrausch – interessiert der Baumarkt wohl am meisten. So stand OBI-Gründer Manfred Maus zufrieden im Kanzlertrubel. „China“, sagte er, „wird in den nächsten zehn Jahren zum größten Markt der Welt werden. Was hier geschieht, ist ohne Beispiel.“

Erst im April 2000 hatte OBI in der westlich von Schanghai gelegenen Millionenstadt Wuxi den ersten Baumarkt eröffnet. Inzwischen gibt es schon vier in China, in den nächsten fünf Jahren sollen zwölf dazukommen. „Ich habe dem Kanzler gesagt, das schafft Arbeitsplätze in Deutschland, wenn wir es schaffen, unsere deutschen Produkte hier zu verkaufen“, sagt Maus.

An einer Theke steckten unterdessen ein Kunde und ein Verkäufer über einem Wohnungsgrundriss die Köpfe zusammen. Denn OBI bietet in China eine besondere Dienstleistung: Die Deutschen verkaufen nicht nur Klinken und Hähne, Duschkabinen und Bodenbeläge, sie helfen auch, die ganze Wohnung einzurichten. OBI hat deshalb 5.000 Handwerker angeheuert. „Schon am ersten Geschäftstag hatten wir 180 Aufträge, Durchschnittswert 8.600 Mark“, berichtete Maus stolz. Er hofft, bald schwarze Zahlen schreiben zu können.

Bevor Maus seine Läden öffnete, wanderte er durch Schanghaier Wohnungen, um die Bedürfnisse seiner Kunden zu erforschen. Dunstabzugshauben wie in deutschen Küchen? Unmöglich, da die Chinesen mit großer Flamme braten. Duschkabinen wie in Deutschland? Ein Witz, da die chinesischen Badezimmer viel zu winzig sind.

Zufrieden stieg der Kanzler in seine Limousine, denn Unternehmer wie Maus bestätigen ihm sein China-Bild: ein dynamisches Land, an dessen Fortschritt auch die Deutschen verdienen können. Auch dem Bundeswirtschaftsminister, der hinter dem Kanzler durch die Heimwerker-Welt geeilt war, leuchteten die Augen. JUTTA LIETSCH