Spur der Sporen führt nach Prag

Der WTC-Attentäter Muhammad Atta hat sich in Prag mit dem irakischen Geheimdienst getroffen – der ihn angeblich auch mit Anthraxsporen ausrüstete

von THOMAS DREGER

Der Student von der TU Hamburg-Harburg residierte luxuriös. Als der angehende Elektrotechniker Muhammad Atta am 8. April dieses Jahres aus den USA kommend in Tschechien gelandet war, checkte er im Prager Hotel Hilton ein: Der Ägypter war nicht zum Sightseeing gekommen, sondern geschäftlich – in Sachen Terrorismus.

In der vergangenen Woche räumte Tschechiens Innenminister Stanislav Gross ein, Atta habe in Prag den als Konsul getarnten irakischen Geheimdienstler Ahmad Chalil Ibrahim Samir al-Ani getroffen. Der wurde vom tschechischen Geheimdienst observiert, weil er einen Anschlag auf den in der Prager Innenstadt ansässigen Radiosender Radio Free Europe/Radio Liberty plante. Der vom US-Kongress finanzierte Sender produziert unter anderem ein irakisches Programm, das als Sprachrohr der Gegner Saddam Husseins gilt. Am 11. April war Atta wieder zurück in Florida, am 20. April verwiesen die tschechischen Behörden al-Ani des Landes. Am 11. September saß der 33-jährige Atta sehr wahrscheinlich am Steuerknüppel jener Boeing der US-Fluggesellschaft United, die als Erste in den Nordturm des New Yorker World Trade Centers raste.

Prag war eines der Lieblingsziele des weit gereisten Atta. Allein im Jahr 2000 besuchte er die Goldene Stadt drei Mal. So kam er am 2. Juni im Reisebus aus Deutschland und flog am nächsten Tag in die USA weiter. Tschechische Geheimdienstler beobachteten, wie er und al-Ani sich auf dem Flughafen freundlich zunickten, verzichteten aber auf eine Observierung des Studenten. Tschechische Medien vermuten unter Berufung auf mysteriöse Einträge im Handelsregister, Atta habe in Prag und Umgebung im Auftrag von Ussama Bin Ladens Terrornetzwerk al-Qaida unter falschem Namen verschiedene Firmen gegründet. Der irakische Geheimdienst habe ihn mit dafür benötigten gefälschten Papieren versorgt. Der ehemalige Leiter der UN-Sonderkommission für Irak (Unscom), der Australier Richard Butler, meint gar, Atta habe in Tschechien von Irakern – vermutlich von al-Ani – Sporen des Milzbranderregers Anthrax erhalten. Verwendungszweck: Anschläge in den USA, ähnlich den derzeit stattfindenden. Die US-Regierung bestreitet energisch eine irakische Verwicklung in die derzeitigen Briefattacken. Die verwendeten Anthraxarten würden ausschließlich in Labors des US-Militärs gezüchtet, lautet die Begründung. Doch das muss kein Widerspruch sein. Denn Irak verfügt nachweislich über Milzbranderreger aus US-Labors.

Iraks Militärs hätten sich zwischen 1985 und 1989 mindestens 21 Arten von Anthrax besorgt, berichtet der frühere Chef der Unscom-Biowaffen-Inspekteure, Richard Spertzel. Eine entstamme eindeutig britischen, drei weitere US-amerikanischen Militärlabors. Sie seien von der Universität Bagdad geordert und per Post geliefert worden. Von dort gelangten sie dann ins irakische Militärprogramm. Zwar gelang es den UN-Waffeninspekteuren nach der Niederlage Iraks im Krieg um Kuwait, etliche B-Waffen zu zerstören. Doch intern heißt es unter den Inspekteuren, es sei nur ein Viertel des irakischen Potenzials vernichtet worden.

Attas Irak-Kontakte sind nicht der einzige Hinweis auf eine Zusammenarbeit des Regimes um Saddam Hussein und Bin Ladens al-Qaida. So traf Faruk Hidschasi, ein hochrangiger irakischer Geheimdienstler und jetziger Botschafter in der Türkei, 1998 persönlich Bin Laden in Afghanistan. Im gleichen Jahr will ein italienischer Rechtsanwalt, geschäftlich in Bagdad tätig, Bin Laden im Nobelhotel al-Raschid gesehen haben. Und als Saddam Hussein im August dieses Jahres die Crème de la Crème des islamischen Terrorismus zu einer dreitägigen Konferenz in die irakische Hauptstadt lud, waren unter den Gästen auch Mitglieder der al-Qaida. Drei Wochen nach dem Treffen unter dem Motto „Nieder mit den USA – nieder mit Israel!“ fanden die Anschläge in New York und Washington statt. Doch sollte Muhammad Atta tatsächlich im Auftrag von al-Qaida von den Irakern Anthrax erhalten haben, warum setzte er es nicht ein? Immerhin hatte er in den USA nicht nur eine Pilotenausbildung absolviert, sondern sich auch über die Funktionsweisen von Kleinflugzeugen zum Versprühen von Insektiziden kundig gemacht.

Vielleicht weil seine Auftraggeber auf die Idee kamen, das biologische Gift nicht per Flugzeug, sondern viel einfacher per Post zu verbreiten. Atta kamen damit höhere Aufgaben zu. Und warum wiederholen die USA trotz ungeklärter Beweislage fast wie ein Mantra die Behauptung, ihr bisheriger Lieblingsfeind Saddam Hussein habe nichts mit den Anschlägen zu tun? Vielleicht weil es ihnen peinlich ist, einzugestehen, dass sie ihren damaligen Verbündeten im irakisch-iranischen Krieg mit jenen Waffen ausgerüstet haben, die sie jetzt selbst bedrohen.