Kunst im Karton, kein Anthrax

Milzbrandalarm in Neumünster entpuppt sich als skurrile Kunstaktion. Polizei war angeblich schon am Dienstag darüber informiert worden  ■ Von Andreas Speit

Für SPD-Innenminister Otto Schily war der Vorfall noch gestern Grund, Strafverschärfungen für „Trittbrettfahrer“ zu fordern. Und für SPD-Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt war der Fall ein Beweis für ein gutes Katastrophenmanagement. Aber als am Freitagabend in Neumünster Entwarung gegeben wurde, war noch unklar, warum überhaupt Milzbrandalarm ausgelöst worden war.

Denn nach vier Stunden Aufregung erreichte die schleswig-holsteinischen Behörden die Nachricht des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI), dass in den bereits Tage zuvor gefundenen Kartons keine Milzbranderreger enthalten waren. „Sie sehen mich fröhlich“, erklärte daraufhin die Kieler Gesundheitsministerin Heide Moser (SPD).

Doch Rechtsanwalt Axel Hoffmann ist verwundert. „Am Abend des 30. Oktober unterrichtete ich bereits die Polizei Neumünster, dass die schon gefundenen Kartons zu einer Kunstaktion gehören.“ Denn nachdem bereits am Dienstag in einer Neumünsteraner Zeitung zu lesen war, dass Feuerwehrleute in Spezialanzügen und mit Schutzfahrzeugen die Kartons einsammelten, hatte ein 30-jähriger Künstler sich bei Hoffmann gemeldet. In den Tagen zuvor hatte er die 30 weißen Kartons in der Größe von Schuh- bis Umzugskisten in der Stadt überwiegend als Gruppenbild aufgebaut. Die Aktion habe er seit langen unter dem Motto „Kunst im öffentlichen Raum“ vorbereitet.

Ohne Ankündigung wurden die weißlackierten Kartons, zum Beschweren mit etwas festem Gips gefüllt, auf öffentlichen Plätzen aufgestellt, um Spontan-Reaktionen der Menschen auszulösen. „Es gehört viel Phantasie und Paranoia dazu“, hebt Hoffmann hervor, „die Kunstaktion als Terrorschlag einzustufen.“

Der Kieler Oberstaatsanwalt Uwe Wick betont indes: „Der Verteidiger kann natürlich behaupten, es wäre eine Kunstaktion gewesen. Aber ob diese Aussage richtig oder falsch ist, werden die Ermittlungen wegen einer vorgetäuschten Straftat zeigen.“ Zur Frage, warum am Freitag Milzbrandalarm gegeben wurde, wenn am Dienstag schon die Polizei informiert war, wollte Wick keine Stellungnahme abgeben.

Am Freitagnachmittag hatten die Behörden den Alarm ausgelöst, als erste Untersuchungen von zwei Proben aus den Kartons beim Landesveterinäramt und beim Nationalen Referenzlabor in Jena den Verdacht auf Anthrax ergeben hatten. Sogleich war die Krisen-Maschinerie der Landesregierung angelaufen: Staatskanzlei, Polizei und Katastrophenschuz arbeiteten Evakuierungspläne aus und überlegten Notfallmaßnahmen. Erst am Abend stellte das RKI dann fest, dass keine Gefahr bestünde. „In den Paketen waren keine gefährlichen Milzbrandsporen“, erklärt RKI-Präsident Reinhard Kurth, „sondern nur anthraxverwandte Bakterien.“

Zusammen mit der Polizei sammelte der Künstler inzwischen die restlichen Kartons wieder ein, nachdem er sich noch am Freitag im Beisein seines Anwaltes gestellt hatte.