Aufruf: moslemische Religion ablegen!

■ Solidarität mit den Opfern, politische Symbolik oder Nachfluchtgrund? IranerInnen sagen sich vom muslimischen Glauben los, solange im Heimatland religiöse und staatliche Führung eins sind

Seit dem 11. September ist vieles komplizierter geworden. Da debattieren deutsche Politiker, unter welchen Umständen mutmaßliche islamistische Extremisten abzuschieben seien – egal, ob sie Asyl genießen oder nicht. Muslime unterschiedlichster Ausprägung sehen sich veranlasst, ihre Haltung zum Terrorismus zu offenbaren. Derweil hat sich in Bremen jetzt ein „Komitee zum 11. September 2001“ gegründet, das dazu aufruft, sich gleich ganz vom Islam loszusagen – aus Solidarität mit den Opfern der Anschläge auf das Wahrzeichen von New York, die Twin Towers.

In einer gestern in Bremen verabschiedeten Resolution ruft das Komitee nun dazu auf, am 17. November vor dem iranischen Konsulat in Hamburg Geburtsurkunden und Pässe zu verbrennen. Denn „viel zu wenige Muslime haben sich getraut, öffentlich ihre Abscheu gegen diesen Akt des Terrors bekannt zu machen“. Mit ihrer „öffentlichen Proklamation“ wollen die ExiliranerInnen zugleich ihre Kritik an der Politik des Heimatlandes deutlich machen: Dort sieht das Komitee „die Wurzeln des internationalen Terrorismus“. Der religiös geführte Staat würde bis heute junge Menschen zum religiösen Extremismus erziehen, so dass diese später zu Ungeheuerlichem bereit seien.

Zu dieser Position bekannte sich vor laufenden Videokameras ein junger Exiliraner vom Podium herab. Er erntete Applaus. Im Saal war man sich einig über bestehende internationale Verflechtungen des Irans mit terroristischen Organisationen anderer Länder. Strittig unter den Oppositionellen unterschiedlicher Couleur blieb eher die Frage, wie demokratisch das Schah-Regime einst war. Oder ob Frauen viel rechtloser seien als Männer – „wo doch auch für Männer Bürgerrechte im Iran nicht gelten“.

Den Weg in den Saal einer evangelischen Freikirche hatten gestern 45 Personen gefunden, ein knappes Drittel von ihnen Frauen, zwei mit Kopftuch, aber alle modern gekleidet, wenige über 40. „Moslemische Weltbürger“ eben, wie sie das Komitee mit seiner Einladung angesprochen hatte.

„Natürlich riskieren wir etwas, wenn wir zu einem solchen Treffen aufrufen“, sagt ein junger Mann am Rande der persisch geführten Debatten und Erklärungen. Der ehemalige Student, seit viereinhalb Jahren in Deutschland, bekennt sich – wie viele im Raum – zur Monarchie. Wegen seiner politischen Haltung habe er aus dem Iran fliehen müssen, berichtet er.

Dieses Schicksal teilt der Mittzwanziger mit vielen Anwesenden – wie auch den ungesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland. Auch deshalb riskiere er etwas, wenn er zu einer solchen Veranstaltung erscheine, sagt er. Manche iranische Beobachter des Komitees vermuten deshalb, es könne sich auch um eine Initiative handeln, die geeignet sei, den „abtrünnigen Muslimen“ einen Nachfluchtgrund für ein bislang erfolgloses Asylverfahren zu liefern. Doch die Teilnehmer der gestrigen Aktion berufen sich auf das Recht auf freie Meinungsäußerung – das sie als politisch Aktive besonders schätzen.

Dass die öffentliche Abkehr vom Islam andere Muslime provozieren kann, daran zweifelt niemand. Aber ein Treffpunkt iranischer Strenggläubiger ist in Bremen nicht bekannt. Ohnehin sind die meisten IranerInnen doch vor den Fundamentalisten geflohen. Weshalb gestern viele – ein wenig im Gegensatz zur beabsichtigen „Abkehr vom moslemischen Glauben“ – einräumten, Religion als eine nicht sehr wichtige Privatsache zu betrachten.

Doch am Ende der Veranstaltung legt eine der Frauen mit Kopftuch das religiöse Symbol ab. Die andere hatte zuvor betont, sie werde nicht in den Iran zurückkehren, solange Staat und Religion nicht getrennt seien. Doch ihr Kopftuch legte sie nicht ab. Vielleicht geschieht das im November – denn ihr droht die Abschiebung. Eva Rhode