BIN LADENS NEUESTE FERNSEHBOTSCHAFT ZEUGT VON RATLOSIGKEIT
: Prophet ohne Gläubige

Nun meldet sich Ussama Bin Laden zum fünften Mal aus seinem sicheren Versteck. Der Inhalt seiner Botschaft klingt dieses Mal etwas anders als in der Vergangenheit. Denn ein neuer Aufruf zum Dschihad ist ausgeblieben. Aus gutem Grund: Der selbst ernannte Sprecher des Propheten musste in den vergangenen Wochen entdecken, dass die islamischen Massen durch die Verkündigung eines „heiligen Krieges“ nicht zu mobilisieren sind. Auch wenn T-Shirts mit Bin-Laden-Konterfei ein Verkaufsschlager sind: Ein großer Zustrom an Kämpfern und Demonstranten blieb bisher aus.

Bin Laden ist in der islamischen Welt immer noch isoliert – obwohl das genaue Gegenteil von jenen erwartet wurde, die den Terror in den USA geplant haben: Waren doch die bildmächtigen Anschläge darauf berechnet, ein maximales Medienecho zu erziehen und so die Muslime in aller Welt zu elektrisieren. Mit seiner neuesten Fernsehbotschaft versucht Bin Laden nun erneut, den Zugang zu den Massen doch noch zu finden und den politischen Druck auf die islamischen Verbündeten der USA zu erhöhen. Zum Standardrepertoire gehört dabei der Bann für jene muslimischen Staatschefs, die mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten. Sie seien „Ungläubige“, die Mohammed verleugneten. Ähnliches hat Bin Laden schon öfter ohne Effekt verkündet. Neu ist allein, dass jetzt auch eine Kooperation mit der UNO verfemt wird. Wer sich an UN-Aktionen beteiligt, ist nun ebenfalls ein Betrüger des Propheten. Und ein Feind Mohammeds verdient in der Logik Bin Ladens die politische Ungehorsamkeit und sogar den Tod.

Dieses primitive und kriminelle Denken wird von der Mehrheit der Kriegsgegner in der islamischen Welt bisher nicht übernommen. Doch wie lange noch? Auch wenn sich die neueste Fernsehansprache als ein momentanes Zeichen der Schwäche interpretieren lässt: Unübersehbar profitiert Bin Laden von den politischen Fehlern der USA. Der Krieg der Supermacht gegen das ausgehungerte und arme Land Afghanistan hat sein erklärtes Ziel verfehlt. Die Bomben trafen die Zivilbevölkerung und nicht die Terroristen. Zudem bietet die US-Regierung immer noch kein politisches Konzept an, das im Stande wäre, den terroristischen Sumpf auszutrocknen. Sowohl in Palästina als auch in der Golfregion bleiben die Konflikte blutig und offen. Gleichzeitig kooperiert die amerikanische Politik mit diktatorischen und korrupten Herrschern. Deshalb wäre es kein Wunder, wenn Außenseiter wie Bin Laden sich immer mehr Sympathien verschaffen – obwohl jene, die er als Unterstützer gewinnen könnte, genau jene sind, die schon jetzt die Folgen seiner kriminellen Taten tragen. ABDEL MOTTAB EL HUSSEINI