Flucht im Bilderbuch?

■ Eine Oldenburger Ausstellung zeigt: Die Kinderliteratur tabuisiert das Thema Flucht

„Kinder auf der Flucht“ lautet der Titel der Sonderausstellung, die die diesjährige Oldenburger Kinder- und Jugendbuchmesse begleitet. Unter der Schirmherrschaft von Unicef und veranstaltet von der Carl von Ossietky Universität werden Bücher vorgestellt, die sich mit der leidvollen Erfahrung der Flucht auseinander setzen. DerBlick wendet sich von Darstellungen von Kindern ab, die mit kaputten Kleidern und weit aufgerissenen Augen in die Kameras von Fotografen kleiner und großer Hilfsorganisationen blicken. Stattdessen geht es um die Frage, wie in verschiedenen Ländern mit den traumatisierenden Erlebnissen von Flucht umgegangen wird.

Schreiben kann therapeutische Funktion haben. Die Kinderliteratur dient als Spiegel dessen, wie Gesellschaften Elends-Erfahrungen ihrer jüngsten Mitglieder gewichten und verarbeiten. Die Ergebnisse zu denen die Veranstalter der Kinderbuchmesse und die Wissenschaftler Michael Fritsche und Jens Thiele kommen, sind entmutigend – wenn auch nicht überraschend: Von wichtigen Ausnahmen abgesehen, werden traumatisierende Erlebnisse entweder tabuisiert oder, wie im Falle afrikanischer Flüchtlinge, stellvertretend von EuropäerInnen oder US-AmerikanerInnen erzählt. Kinderliteratur ist Luxus. Ein Jugendbuchmarkt scheint in weiter Ferne, wo Kinderarbeit, Analphabetismus und Armut den Alltag bestimmen. Wenn, dann sind es europäische oder nordamerikanische Verlage, die Werke von AutorInnen des Südens publizieren – dann allerdings auf Englisch, Französisch oder Portugiesisch.

Betrachtet man die Kinderliteratur des Südens, die von Flucht handelt, stammen klägliche zehn Prozent der Werke aus der Feder von AutorInnen dieser Regionen. Kriege und Revolutionen lösten in der Sowjetunion Massenfluchten aus. In der Kinderliteratur dominiert der siegreiche, optimistische Held. Die Biographie von Leonid Pantelejew bildet eine Ausnahme. Sie erzählt die Geschichte von Ljonka, der den Bürgerkrieg nach der Oktoberrevolution in vollkommener Verwahrlosung erlebt.

Ebenfalls in Vergessenheit geraten: die Vertreibung der Griechen aus Anatolien, der Massenmord an den Armeniern und die Vertreibung von Türken aus den Balkanländern. „Grüß mir die Erde , die uns beide geboren hat“ von Dido Sotiriou wird in Griechenland als „Bibel der Kleinasiatischen Katastrophe“ bezeichnet und war dort und in der Türkei bis in die achtziger Jahre ein Bestseller.

Auch wenn Flucht, Vertreibung und Ausgrenzung keine kinderfernen Themen sind, haben sie kaum Einzug in Bilderbücher gefunden. Der Trend der „Bewahrpädagogik“ wollte Kinder von grausamen Themen fernhalten, die doch für sie Realität sind.

Konfliktbeladene Themen lassen sich schwierig auf unbekümmerte freundliche Weise illustrieren. Wieder gibt es Ausnahmen, wie das Bilderbuch „Floris & Maja“, welches auf experimentelle Weise vermenschlichte Hasen darstellt, die im Krieg sterben. Dennoch scheinen Migration und Vertreibung eine Rarität in der Bilderbuch-Welt zu bleiben. Die Kluft der sozialen Realität des Kindes und des Bilderbuches wird vermutlich größer werden. Mona Motakef

Bis 2. Dezember im Stadtmuseum Oldenburg