„Gute“ Biowaffen gibt es nicht

Bislang sind auch nicht tödliche Biowaffen ein Tabu. Aber die USA entwickeln trotzdem Pilze, die Plastik zersetzen oder Schlafmohn vernichten können. Es droht ein Wettrüsten

Die Sporen für die Milzbrandanschläge stammen wahrscheinlich aus staatlichen Militärlabors

Die Milzbrandattacken in den USA haben unterstrichen, wie notwendig internationale Vereinbarungen sind, um das Biowaffenverbot zu stärken. Alles deutet darauf hin, dass die Milzbrandsporen in den Terrorbriefen aus einem staatlichen militärischen Programm stammen, vielleicht sogar aus den USA selbst. Damit bestätigen sich die Warnungen vieler Experten, dass ohne das Wissen und das Material aus staatlichen Programmen bioterroristische Angriffe kaum durchführbar sind. Der einzig wirksame Schutz ist deshalb Prävention, indem staatliche Biowaffenforschung durch internationale Kontrollen verhindert wird. Diese Kontrollen hat die US-Regierung im Sommer noch abgelehnt. Jetzt hat Bush zwar angekündigt, dass man an einer Verbesserung der Biowaffenkonvention von 1972 mitwirken werde. Kontrollen kommen für die USA immer noch nicht infrage; die Rede ist nur von „verschärfter Strafverfolgung“ und „strengen Auslieferungsbestimmungen“. Nichts Neues also.

Wer sich bislang der Illusion hingab, dass die Anthraxbriefe die Bush-Regierung umdenken ließen, sieht sich also bitter enttäuscht. Washington versucht die Gunst der Stunde – die „uneingeschränkte Solidarität“ der Bündnispartner – zu nutzen, um Kernpunkte des globalen Biowaffenverbotes auszuhebeln. Dahinter steht nicht zuletzt das steigende Interesse der Amerikaner an nicht tödlichen biologischen Waffen, die bislang als Tabu gelten.

Bereits im letzten Jahr hatten hochrangige US-Militärs eine Änderung der Biowaffenkonvention gefordert, um Öl fressende oder Material zersetzende Biowaffen zuzulassen. Die US-Navy besitzt bereits ein Patent an gentechnisch veränderten Pilzen, die Plastik zerstören können. Außerdem arbeitet die US-Landwirtschaftsbehörde seit über zehn Jahren daran, Pilze für die Vernichtung illegaler Drogenpflanzen zu entwickeln. Bis vor kurzem wurde mit US-Geldern in Usbekistan eine Schlafmohnkrankheit bis zur Anwendungsreife entwickelt. Dies verstößt gegen die Biowaffenkonvention, die jede feindselige Nutzung lebender Organismen verbietet. Diese allumfassende Gültigkeit wurde jüngst durch eine diplomatische US-Offensive frontal angegriffen. Am 10. Oktober hat Avis Bohlen, einer der ranghöchsten US-Abrüstungsdiplomaten, vor der UNO in New York unmissverständlich klargestellt, dass die USA sich nur noch bei tödlichen Erregern beschränken werden. Damit haben sie einer Unterscheidung in „gute“, also nicht tödliche, und „schlechte“ Biowaffen den Weg geebnet.

Zugleich betonte die US-Regierung, dass sie sich nunmehr auf die Anwendung biologischer Waffen konzentrieren werde, und stellte damit eine der großen Errungenschaften der Biowaffenkonvention von 1972 infrage. Der Fortschritt damals war gerade, auch die Entwicklung, Produktion oder Lagerung von biologischen Waffen zu verbieten und damit ein biologisches Wettrüsten bereits in den Anfängen zu ersticken.

Hier drängt sich der Verdacht auf, dass im Nachhinein die kürzlich bekannt gewordenen fragwürdigen Projekte der amerikanischen Defensivforschung legitimiert werden sollen. Anfang September berichtete die New York Times, dass die USA seit 1997 sowjetische Miniaturbomben nachgebaut haben, mit denen biologische Waffen als feiner Nebel versprüht werden können. Zudem wurden besonders gehärtete Raketensprengköpfe für biologische Waffen entwickelt, eine kleine Produktionseinheit für biologische Waffen in der Wüste Nevadas aufgebaut und in verschiedenen Anlagen mit Hilfe von Explosionen feine Bakterienstäube erzeugt.

All diese Projekte tragen recht offensive Züge und verstoßen unzweifelhaft gegen Geist und Wortlaut der Biowaffenkonvention. Washington rechtfertigt sie mit dem lapidaren Hinweis, dass sie nur für die Entwicklung von Abwehrmaßnahmen durchgeführt wurden und damit rein defensiv seien. Diese Erklärung des US-Verteidigungsministeriums wird auch vom Auswärtigen Amt gedeckt, das schlicht feststellte: „Der Bundesregierung liegen keinerlei gegenteilige Hinweise vor.“

Die USA und ihre treuen Bündnispartner begeben sich hier auf heikles Terrain. Die beliebige Anwendung des Defensivargumentes höhlt das Biowaffenverbot aus und wird sich langfristig als gefährlicher Bumerang erweisen. Denn diese Argumentationsweise könnte schnell Schule machen und in verschiedenen Ländern zum Deckmantel umfangreicher Offensivprogramme avancieren.

Es mag in einer kurzsichtigen militärischen Logik für die Amerikaner sogar Sinn machen, sich vom absoluten Biowaffenverbot fortzubewegen. Die militärische Vormachtstellung der USA beruht auf der direkten Umsetzung von Technologievorsprüngen in Waffensystemen. Da liegt es nahe, die unangefochtene Führungsrolle in der Biotechnologie auch militärisch einzusetzen.

Der Preis, der dafür zu zahlen sein wird, ist jedoch ein ungehemmtes biologisches Wettrüsten, bei dem es am Ende nur Verlierer geben kann. Heute noch können wir guten Gewissens versichern, dass man in Deutschland eher vom Blitz als vom Milzbrand getroffen wird. Heute noch ist kaum ein Land in der Lage, Biowaffen großflächig auszubringen. Heute noch hat keine Terrorgruppe Zugang zu diesem Wissen.

Damit das auch so bleibt, muss die weltweite Ächtung biologischer Waffen dringend gestärkt und auf rechtsverbindliche Füße gestellt werden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der 5. Überprüfungskonferenz der Biowaffenkonvention Ende November in Genf zu, auf der entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt – oder verbaut – werden können.

Zum einen sollten dort die (tatsächlichen oder vermeintlichen) Schlupflöcher in der Konvention gestopft werden. Angesichts der Anti-Drogen-Pilze und der Material zersetzenden Organismen müssen die Vertragsstaaten die allumfassende Gültigkeit der Biowaffenkonvention bekräftigen – und zwar ohne jede Ausnahmen auch für nicht tödliche Waffen oder bei der Terrorbekämpfung.

Die USA haben inzwischen besonders gehärtete Raketenköpfe für biologische Waffen entwickelt

Zum anderen müssen der Defensivforschung deutliche Grenzen gesetzt werden. So wäre es zum Beispiel sinnvoll, die Übertragung „waffentauglicher“ Gene auf potenzielle Biowaffen zu verbieten. Dazu würde unter anderem die Absicht gehören, Milzbrand- oder Hasenpesterreger gegen Antibiotika resistent zu machen. Ebenso müssen Versuche ohne zivile Anwendungen, wie etwa die Detonation von Aerosolen, ausdrücklich verboten werden.

Es geht im Moment letztendlich darum, ob perspektivisch der militärische Missbrauch der Bio- und Gentechnologien verhindert werden kann. Bislang ist noch jede Schlüsseltechnologie – vom Schwarzpulver bis zur Computertechnologie – auch für kriegerische Zwecke eingesetzt worden. Angesichts der ungeheuren Eingriffstiefe der neuen biomedizinischen Techniken sollten wir alles daran setzen, ein biologisches Wettrüsten zu vermeiden.

JAN VAN AKEN