piwik no script img

Die Panik der Singles

Normalität und Ästhetik: Die Ausstellung „Familienbild“ im NGBK weckt vertraute Muster des Alltags zu neuem Leben

Eine Zeit lang war das Bildnis des Künstlers als Kleinkind schwer in Mode. Hätte man aufgehoben, was da auf Einladungskarten ins Haus flatterte, es wäre sicher ein Album der Berliner Kunstszene kurz vor der Einschulung dabei herausgekommen. Die Eltern dagegen sind neu als Motiv. Vor kurzem lud die Malerin Margarete Hahner mit einem Foto ein, auf dem ein grauhaariges Paar leicht amüsiert über das Kunststück vor ihnen auf dem Tisch schmunzelte: eine Pyramide aus Bierkrügen. Dann folgten, als weitere Vorboten der Entdeckung der Eltern/Älteren, 20 Damen und Herren über 65, die ein altes Stück von Pina Bausch tanzten. Die Choreografin Constanza Macras, bekannt für ihre Party-Events, bereicherte ihr athletisches Ensemble für ihre letzte Aufführung um vier ältere Damen. Die Künstlerinnen des Goldrauschkurses recherchierten Geschichten von Vätern, erinnerten sich, wie das war, als Kind allein stehende Tanten zu besuchen, und arbeiteten an der Rekonstruktion des kindlichen Blicks. Kataloge ähneln immer häufiger Familienalben.

Während ich noch darüber nachdachte, ob dieses neue Bekenntnis zur Kleinfamilie ein Ergebnis der massenhaften Versingelung nicht nur der Gesellschaft im Allgemeinen, sondern der Künstlerschaft im Speziellen sein könnte, schickte die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst ihre Einladung zu „Familienbild“ heraus. Die Kinderwagen, die Kuratorinnen und Künstlerinnen zum Pressetermin mitgebracht hatten, widerlegten meine erste These glatt und mit Gequäke. Das war kein Fake, das war Pragmatismus.

Das Motiv der Familie in der zeitgenössischen Kunst, das hieß lange, gerade auch in den gesellschaftskritischen Ausstellungen der NGBK: repressive Einordnung von Rollenmustern, versteckte Gewalt, Missbrauch möglicherweise. Die Familie blieb die Folie, von der sich jeder emanzipatorische Entwurf zu lösen hatte. Eine erste Umkehrung deutete sich Mitte der Neunzigerjahre in den Fotografien von Richard Billingham an, der seine Eltern inmitten von Puzzlesteinchen, TV-Dinners und Abstürzen im Suff porträtierte. Eine von Gewalt und Psychosen geprägte Szene, die Billingham aber ohne jeden didaktischen Gestus oder der Distanzierung zeigte. Im Gegenteil. Je mehr man davon sah, desto spürbarer wurde die liebevolle Solidarität, mit der er als erfolgreich aufstrebender Jungkünstler seine proletarische Herkunft sichtbar machte.

Von solcher Härte und klaustrophobischer Enge ist keiner der Beiträge der Ausstellung „Familienbild“. Sie suchen nicht nach der tragödienreifen Dramatisierung ihres Stoffes. Was sie dabei gewinnen, ist eine große Nähe und Wiedererkennbarkeit in vertrauten und kleinteiligen Mustern des Alltags.

Wie mit Ritualen Gemeinsamkeit geübt und „Familie“ hergestellt wird, beschäftigt Corinna Schnitt in ihrem Video „Zwischen vier und sechs“. Völlig lakonisch ist der Ton ihres Kommentars im Off zu der Kamera-Fahrt durch eine Vorortstraße mit gequetschten Einfamilienhäusern auf kleinen Grundstücken. Das war früher ihr Weg von der Schule nach Hause. Heute geht sie dort sonntags mit den Eltern Straßenschilder putzen: eindeutig absurd, überflüssig, pedantisch. Aber ein schönes Bild für die Suche nach sinnerfüllter Gemeinsamkeit.

Mit einer Prise Zynismus reflektiert Gudrun F. Widlok in ihrem Büro „Adopted“ die Panik des alternden Singles. Kontaktanzeigen reichen nicht mehr, jetzt wird gleich eine ganze Familie gesucht. Mit Blumenvasen, internationalen Fahnen und Weltkarten verströmt das Büro einen Charme zwischen Behördenmief und tapferer Gegenwehr. In Entwicklungsländern will Widlok den erwachsenen Singles Eltern suchen, um ihre emotionale Unterversorgung zu verbessern.

Putzen, Kuchen backen, sticken: Ulla Jokisalo aus Finnland ist Familienfotos mit Nadel und Faden auf den Leib gerückt. Rot gestrichelte Konturen, gestickte Texte oder ein Gewirr von Fäden überlagern die alten Bilder mit einer symbolischen Struktur, die Gegenwart mit Vergangenheit verbindet. Das ist fast auch ein magischer Akt, der am Bild jene Gefühle auslebt, die den Personen gegenüber nicht möglich waren. Auch in den „Pfropfungen“ von Ricoh Gerbl werden die Wurzeln der Befindlichkeit in häuslichen Gegenständen dingfest gemacht. Die „Pfropfungen“ werden jeweils in zwei Fotografien vorgestellt: Einmal hat sich ein Bewohner mit einem Möbelstück in ungewöhnlicher Position fotografieren lassen, zum Beispiel zwischen den Tischbeinen an die Wand wie ein Käfer festgenagelt.

Die zweite Aufnahme zeigt eben dieses Bild hinter dem Tisch hängen, an dem nun wieder gefrühstückt werden kann. Die kurze Übung der Verrückung aber hat die Wahrnehmung für die Normalität verändert und als gewollt bestätigt. So betreibt „Familienbild“ auch eine Art Grundlagenforschung über unser ästhetisches Empfinden.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Bis 25. 11. tgl. von 12–18 Uhr 30 im NGBK, Oranienstr. 25, Kreuzberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen