Sprechen im Schaf

Während die Welt im Krieg ist – was läuft eigentlich zur Zeit in Neuseeland?

In einer Samstag-Abendshow im neuseeländischen Fernsehen, in der sich Menschen mit besonderen Fähigkeiten präsentieren, kam es vor kurzem zu folgendem Vorfall. Gerade hatte der Moderator unter Applaus seinen nächsten Gast begrüßt, als er ihn auch gleich nach seinem Talent befragte. „Es gibt Leute, die im Schlaf reden“ (You know, there are people speaking during their sleep), erläuterte der Gast, „aber ich bin jemand, der im Schaf reden kann.“ (But I’m someone, who can speak inside a sheep.)

Kaum hatte er das ausgesprochen, wurde unter dem frenetischen Beifall des Publikums auch schon ein Schaf ins Studio gezerrt, und der Gast, ein Mann im besten Alter und von gewöhnlicher Statur, entledigte sich seines Jacketts, öffnete das Maul des Schafes und begann mit seinem linken Bein in das Schaf einzudringen. Nachdem sein Bein vollständig im Schaf verschwunden war, zog er den Oberkörper so weit zusammen, dass er auch seinen linken Arm mitsamt Schulter erst im Maul und dann im Innern des Schafes unterbringen konnte. Als er anschließend versuchte, auch sein rechtes Bein in das Maul des Schafes zu stecken, wurde das Schaf, das die Prozedur bisher scheinbar geduldig ertragen hatte, unruhig, ja, man kann sagen, wenn man in den Gesichtern von Schafen lesen könnte, dann hätte man im Gesicht des Schafes jetzt eine starke Abneigung gegen das Eindringen des Mannes in seinen Körper lesen können.

Schließlich gelang es dem Mann, auch sein rechtes Bein im Schaf unterzubringen. Anschließend zog er seinen Oberkörper nach, und als letztes steckte er seinen rechten Arm in das Maul des Tieres, so dass jetzt nur noch sein Kopf aus dem Schafsmaul herausschaute. Erneut zog er seinen Oberkörper zusammen, bis auch sein Kopf im Maul des Schafes verschwand. Lediglich sein lichter Haarschopf schaute leicht heraus, wobei das Schaf wie abwesend auf diesem zu kauen begann.

In diesem Moment trat der Moderator mit einem Mikrofon an das Schaf heran und forderte den Mann im Schaf auf, gemäß seiner Ankündigung etwas zu sagen. Tatsächlich drang aus dem Schafsinnern ein undeutliches, aber doch hörbares: „Hallo, hallo . . .“ und „Ich bin jetzt im Schaf!“, was mit einem begeisterten Beifall des Publikums quittiert wurde. „Könnten Sie eventuell auch etwas singen?“, forderte der Moderator seinen Gast nun zu weiteren Höchstleistungen auf, und aus dem Schaf quoll ein Laut, der sich wie ein „Ja!“ anhörte. Anschließend begann er tatsächlich ein Lied anzustimmen.

Hatte man den Mann bisher nur schwer verstehen können, so klang der Gesang auf Grund seiner wachsenden Atemnot jedoch so leise, dass es schon der ausgefeilten modernen Übertragungstechnik bedurfte, um ihn überhaupt noch hören zu können. Trotzdem applaudierte das Publikum, das sich bereits leicht enttäuscht gezeigt hatte.

Als der Moderatorer nun den Mann aufforderte, das Schaf wieder zu verlassen, geschah aber folgendes: Das Schaf, das die ganze Prozedur bisher mit Abscheu, jedoch ohne großen Widerstand über sich hatte ergehen lassen, sperrte, als der Mann Anstalten machte, sich aus dem Schafsinneren herauszuwinden, sein Maul fest zu, so dass der Mann keine Möglichkeit fand, dem unwirtlichen Ort zu entkommen. Tatsächlich erwies sich das Schaf als ein außerordentlich starkes Tier, so dass es dem Mann auch infolge weiterer Bemühungen nicht gelang, aus eigener Kraft aus dem Schaf herauszukommen. Der Moderator, der zwischenzeitlich versucht hatte, das Publikum zu unterhalten, dann abzulenken und schließlich, da sich unter den Anwesenden Unruhe breit machte, zu beruhigen, entschloss sich, da er sich selbst die Hände nicht schmutzig machen wollte, drei kräftige und schwergewichtige Herren der städtischen Polizei auf die Bühne zu bitten, damit sie dem Mann im Schaf hülfen. Diese ließen sich nicht lange bitten und versuchten zunächst allein durch Muskelkraft das Maul des Schafes zu öffnen, doch erwies sich die Kreatur als stur. Schließlich holte man ein Stemmeisen und steckte es dem Schaf ins Maul. Nachdem alle drei Herren sich mit ganzem Gewicht und aller Kraft auf das Eisen gestemmt hatten, öffnete das Schaf endlich sein Maul, und der Gefangene konnte unter Mühen, da er erschöpft und ohne Atem war, sich wieder ins Freie bewegen. Kaum hatte er das Schaf verlassen, floh es von der Bühne. Allerdings konnte man es schnell wieder einfangen. Später wurde es wegen Freiheitsberaubung und Widerstand gegen die Staatsgewalt zu drei Jahren Haft verurteilt. Der Mann aber erhielt einen Gutschein für einen schönen Abend in einem Opossum seiner Wahl.

JAN ULLRICH