Frühe Studienanreize besser als späte Strafgebühren

Weil auch die Rektoren über Studiengebühren reden, preschen NRW und Rheinland-Pfalz mit einer Alternative vor: Studienkonten. Studis schmollen

BERLIN taz ■ Seit gestern ist die Lage ganz neu. Die Wissenschaftsminister von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gehen, verärgert durch die andauernde Debatte über allgemeine Studiengebühren, künftig eigene Wege. Gaby Behler und Jürgen Zöllner (beide SPD) wollen für jeden Studierenden so genannte Studienkonten einrichten. Diese Konten garantieren ein gebührenfreies Studium bis jenseits der Regelstudienzeit – und setzen gleichzeitig Anreize, Vorlesungen und Seminare flugs zu absolvieren. Die beiden Bundesländer werden die Studienkonten ihrer Studis gegenseitig anerkennen. Das neue Modell ist attraktiv, weil es etwa für Studierende mit Kind großzügige Ausnahmeregeln vorsieht.

Die Provokateure

Den letzten Kick für die Entscheidung von Behler und Zöllner, ihr Modell schnell an die Öffentlichkeit zu bringen, gaben die Hochschulrektoren. Gestern berieten die Uni-Chefs nämlich überraschend über ein Papier, das Gebühren auch während des Erststudiums ermöglicht hätte. Das war eine 180-Grad-Wende der Rektoren, die bislang stets gegen das bezahlte Studium waren.

Die Rektoren bemühten sich zwar, ihr zusammen mit dem Centrum für Hochschulentwicklung entwickeltes Modell herunterzureden. Aber sie beließen es auf der Tagesordnung ihrer gestrigen Sitzung. Ein Beschluss über das Modell war gestern bis Redaktionsschluss nicht bekannt geworden.

Die Rektoren sehen in ihrem Modell, „Studiengebühren als Option für autonome Hochschulen.“ Entsprechend lauten die Formeln des CHE-Rektoren-Papiers: „Die Hochschulen entscheiden darüber, ob und für welche Studienangebote sie Studiengebühren erheben.“ Das Bezahlmodell der Rektoren, so hieß es, sei keine Option für heute oder morgen. Einschränkend werden die Hochschulen und der Staat auch verpflichtet, „die Sozialverträglichkeit des Gebührenmodells zu garantieren“ bzw. „gesetzlich festzuschreiben“.

Die Entscheider

In den Schubladen der Wissenschaftsbeamten in Düsseldorf und Mainz liegt seit längerem ein Plan über Studienkonten. Jürgen Zöllner, der stets zwischen den Bundesländern vermittelt hat, um ein gebührenfreies Studium zu erreichen, hatte in seinem Haus die Marschroute ausgegeben: Dieses Jahr muss das Modell stehen. Als das Rektorenpapier bekannt wurde, war die Entscheidung gefallen. Zöllner gewann Gaby Behler, Ministerin für eine halbe Million Studierender – und hatte damit auf einen Schlag rund ein Drittel aller deutschen Studis als Nutznießer seines Kontenmodells.

Jeder Studi erhält demnach ein Studienkonto in der Einheit Semesterwochenstunden. Die Höhe der Punkte hängt vom jeweiligen Fach ab, ein achtsemestriger Diplomstudiengang etwa hat 160 Semsterwochenstunden (SWS). Dazu will Gaby Behler den Studiosi noch einen Aufschlag von 20 Prozent schenken. Das Studienkonto gilt für die doppelte Regelstudienzeit – das heißt, dass Studierende mit Kind oder Berufstätige die Möglichkeit haben, eine Art Teilzeitstudium zu absolvieren. Gebühren für die Seminare und Vorlesungen müssen erst bezahlt werden, wenn diese Zeit, beim normalen Bachelor etwa sechs Jahre, überzogen ist. Dann soll aber nicht semesterweise bezahlt werden, sondern pro Semsterwochenstunde etwa 25 Euro.

Das Konto funktioniert als ein Anreizsystem zum schnellen Studium. So bekommem diejenigen, die innerhalb der Regelstudienzeit ihren Abschluss machen, die restlichen SWS-Einheiten gutgeschrieben und erhalten dazu noch einen Bonus. Das Guthaben können sie für ein Zweit- oder Aufbaustudium nutzen und für die Weiterbilung bis zum 45. Lebensjahr. Auch diejenigen, die in der Regelstudienzeit plus zwei Semester abschließen, erhalten den Rest gutgeschrieben, aber keinen Bonus. Das Verfahren der Studienkonten soll über die Rückmeldung fürs kommende Semester abgewickelt werden. Die Studis geben wie bisher in den Bögen an, welche Veranstaltungen sie belegt haben. Die werden ihnen dann von einer Konto-Chipkarte abgebucht. Zusätzliche Veranstaltungen müssen dabei nicht angeben werden „Wer zusätzlich eine Philosophie-Vorlesung hören möchte oder ein Studium Generale absolviert, dem verbiete ich nicht den Hörsaal“, sagte Behler in Düsseldorf.

Die ewigen Nörgler

Das Kontenmodell von Behler und Zöllner hat freilich auch Gegner: Die im freien Zusammenschluss von studierenden (fzs) und dem Aktionsbündis gegen Studiengebühren (ABS) organisierten Studis. fzs und ABS hatten schon das Gebührenmodell der Rektoren gegeißelt. Gestern zogen sie nun, in der gleichen Aufgeregtheit, über die Studienkonten her. Die Konten seien ein Modell für Langzeitgebühren und eine „fatale Entscheidung“, meckerte Christian Haberecht vom fzs. Er bezeichnete es als „bildungs- und gesellschaftspolitisch verheerend“, die vielfältigen Abschreckungsmechanismen von Studiengebühren zu ignorieren. Dass die Studienkonten den Weg aus einer verfahrenen Debatte weisen, erkennt der fzs nicht. Haberecht sieht die Hochschulen dadurch vielmehr „in die endgültige Bildungskatastrophe führen.“ CHRISTIAN FÜLLER/ISABELLE SIEMES