Geheimsache Afghanistaneinsatz

Der Bundestag soll über den Umfang des Kontingents befinden und der Regierung die „Ermächtigung“ (Schröder) geben, notfalls den Einsatz zu befehlen

aus Berlin SEVERIN WEILAND

Gerhard Schröder wirkt ein wenig gereizt. Vielleicht denkt er gerade an Peking, wo er vor Tagen noch von Studenten zur Rolle Deutschlands befragt wurde und nach jeder Antwort artigen Applaus erntete. Hier im Saal der Bundespressekonferenz gibt es keinen Applaus, gelegentlich Gelächter für einen Scherz, aber auch vernehmliches Murren. Etwa, als Schröder einer „werten Dame“ erklärt, dass er nichts über Umfang, Zeitpunkt und Art eines möglichen Einsatzes der Bundeswehr sagen wird. Das empfinden manche Journalisten als herablassend und zischeln.

Nein, Schröder, der Mann, der ansonsten so gut mit den Medien kann, wirkt gar nicht so souverän. Vielleicht spürt er, dass er gerade eine große Verpflichtung und ein großes Risiko eingeht. Am Montag haben die USA ihn und den Bundesverteidigungsminister gebeten, Bundeswehreinheiten bereitzustellen. Der Kanzler hat zugesagt. Bis zu 3.900 Soldaten sollen den Kampf gegen den Terror unterstützen. Niemand, der eine solche Entscheidung zu treffen habe, „ist besonders froh darüber – warum sollte man das nicht eingestehen“. Es gehe hier nicht um seine Befindlichkeiten, sondern um eine Entscheidung im Interessse des Landes, seiner Menschen und „der Bündnisfähigkeit, auf die wir angewiesen sind“.

Als wolle er sein Handeln noch einmal unterstreichen, zählt Schröder all die Entscheidungen auf, die nach den Terroranschlägen in den USA zu diesem 6. November führten: die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1368, mit der das Selbstverteidigungsrecht Washingtons unterstrichen wurde, die Nato-Erklärung zum Bündnisfall und nicht zuletzt die Entschließung des Bundestages, in der den USA die „uneingeschränkte Solidarität“ bekräftigt wurde. Manche aber rücken von Schröders Begriff ab, vor allem beim grünen Koalitionspartner reden Einzelne bereits von „kritischer Solidarität“. Wenn es neue Begrifflichkeiten gebe, „bitte sehr“, sagt Schröder, er habe das nicht zu kommentieren: „Für mich ist wichtig, was hinten rauskommt.“

Möglicherweise wird bereits nächste Woche der Bundestag einen Beschluss über die Bereitstellung der Kräfte herbeiführen. Darin soll nicht nur der Umfang des Kontingents aufgeführt, sondern die Bundesregierung ermächtigt werden, notfalls auch den Einsatzbefehl zu geben. Soweit das im Rahmen der Geheimhaltung „objektiv angemessen ist“, werde er vor einer solchen Entscheidung die Fraktionschefs informieren. Gestern Vormittag, nach der Tagung des Bundessicherheitsrates, hatte Schröder auch die PDS-Fraktionsspitze ins Kanzleramt eingeladen – erstmals wieder seit ihrem Ausschluss aus der vertraulichen Unterrichtung vor vier Wochen. Doch Schröder stellt klar, dass dieses Privileg vor einer Entscheidung für Militäraktionen wieder entfallen kann. Wer prinzipiell gegen einen Einsatz sei, den wolle er auch nicht „überfordern“, sagt er.

Von einem Vorratsbeschluss des Bundestages wie beim Luftkrieg gegen Jugoslawien will Schröder nicht sprechen. Der zunächst auf ein Jahr befristete Beschluss werde so präzise sein, dass „dem Bundestag die Konsequenz seiner Entscheidung auch vorliegt“. Sollte eine Verlängerung anstehen oder müssten die darin festgelegten „klaren Regeln“ ausgeweitet werden, sei das Parlament erneut zu befassen.

Schröder lässt an diesem Tag vieles im Vagen, andere in der Fraktion wollen zusätzliche Klarheit. Vizechef Gernot Erler, der maßgeblich den Sicherheits- und außenpolitischen Antrag für den kommenden Parteitag erarbeitet, verlangte neben der Definition von Umfang, Auftrag und Zeitplanung des Einsatzes auch die Klarstellung, ob neben Afghanistan andere Länder als Einsatzgebiete in Frage kommen könnten. Dazu aber hatte sich Schröder trotz mehrfacher Nachfragen vor der Presse nicht äußern wollen. Bei den Grünen zeichnete sich verhaltene Zustimmung ab. Die Fraktionschefin Kerstin Müller erklärte nach dem Treffen beim Kanzler, die Spitzen von Fraktion und Partei könnten die Pläne mittragen. Die verteidigungspolitische Sprecherin Angelika Beer meinte, entscheidend sei für sie die Frage, wie eindeutig das Mandat sein werde. Annelie Buntenbach hingegen lehnte in der gegenwärtigen Lage eine Beteiligung am Militäreinsatz ab, allerdings zählt sie zur kleinen Schar der Einsatzgegner.

Der Kanzler wird wohl mit Unterstützung rechnen können. In eineinhalb Wochen, auf dem Bundesparteitag in Nürnberg, dürfte er dann auch wissen, wie weit ihm seine eigene Basis folgt. Gestern verbeugte er sich schon einmal rhetorisch vor ihr: „Es hat schon Phasen gegeben, da war die Partei weit weniger geschlossen als jetzt. Das nehme ich mit großer Dankbarkeit entgegen.“