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Tausche Frau gegen Land

Michael Winterbottom nutzt das Bildrepertoire des Westerns, um in seinem Film „Das Reich und die Herrlichkeit“ eine Geschichte von Schuld und Sühne im amerikanischen Frühkapitalismus zu erzählen

von ANDREAS BUSCHE

Der Ort, den Daniel Dillon zur Zeit des Goldrauschs – im Jahre 1849 – inmitten den Einöde der Sierra Nevada errichtete, trägt den Namen „Kingdom Come“. Mitte des 19. Jahrhunderts war das amerikanische Hinterland noch immer eine Terra incognita, die man individuell mit seinen Träumen und Sehnsüchten aufladen konnte: Städte erhielten den Namen der verstorbenen Geliebten, der fernen Heimat oder wurden Wort eines unternehmerischen Schöpfungswillens, der sich die karge Wildheit des amerikanischen Westens untertan zu machen versuchte. Eine riesige Bedeutungslandkarte, in die die individuellen Ansprüche an das gemeinsame Zukunftsprojekt Amerika unauslöschbar eingeschrieben waren.

Die Außenposten der Zivilisation waren immer auch die Grenzen des Vorstellbaren und je tiefer die Pioniere in das Innere des Landes vordrangen, desto unwideruflicher opferten sie seine Schönheit für eine neu aufkommende, kapitalistische Ordnung. Doch je mehr Land der Pionier erschloss, desto größer wurde seine Gewissheit, dass er sein Unternehmen zusammen mit der Idee der Frontier ad absurdum führte. Was ihm blieb, war die Möglichkeit, sich niederzulassen und sich der Verwertungslogik der ihm nachfolgenden industriellen Kolonialisierungswelle zu fügen.

Daniel Dillon hat in Michael Winterbottoms Film „Das Reich und die Herrlichkeit“ seinen Ort Kingdom Come auf dem Fundament einer alten Schuld errichtet. Das ist das Schicksal der gesamten amerikanischen Nation. Aber hier ist es schon eine neue, nachfolgende Generation von Abenteurern, die ihr Ideal der Eroberung des Unbekannten in ihrem vollen Geldbeutel bestätigt sieht. Nicht mehr das natürliche Streben nach grenzenloser Freiheit lässt sie nicht zur Ruhe kommen. Motor ist ihr narzisstischer Fortschrittsglaube, angetrieben vom kapitalistischen Schmieröl der Eisenbahn- und Telegrafenfirmen.

Donald Dalglish kommt nach Kingdom Come, um „seine“ Eisenbahn weiter in das Land zu treiben. Jahrelang hat Dillon auf diesen Moment gewartet, denn die Eisenbahn bringt Arbeit und Wohlstand in seine Stadt. Doch als Dalglish sich gegen die Route über Kingdom Come und für den einfachen Weg durch das Tal entscheidet, bricht auch das Verdrängte aus Dillons Vergangenheit – symbolisch überhöht unter einer dicken Schneeschicht begraben – offen zu Tage. Die alte Schuld gegenüber seiner Frau und seiner Tochter, die er zwanzig Jahre zuvor für ein Stückchen Land verkaufte, will beglichen werden, und der Preis dafür ist sein Königreich.

Was Winterbottom in seinem Mythen-aufgeladenen Melodram zeichnet, ist mehr als der Ausläufer eines historischen Epochenwechsels oder das Fitzcarraldo-ähnliche Scheitern eines amerikanischen Archetypus. Winterbottom nutzt das Bilderrepertoire des Western, um die essenzialistische Frage nach Schuld und Sühne auf den Bedingungen des (früh-)kapitalistischen Gesellschaftswandels abzubilden. Im Originaltitel „The Claim“ ist diese Konstellation bereits enthalten: die gewaltsame Landnahme zum einen, zum anderen der emotionale Anspruch auf Wiedergutmachung, wo es nichts mehr gut zu machen gibt.

Der englische Schriftsteller Thomas Hardy, auf dessen Geschichte „The Mayor of Casterbridge“ aus dem Jahr 1886 Winterbottom sich bezieht, hat in vielen seiner Romane die Auswirkungen der Industrialisierung auf das Leben der einfachen Menschen beschrieben. Winterbottom schafft auf dieser Grundlage eine semantische Topografie der Begehrlichkeiten. Alle Aktionen sind Symbolakte, jeder Gegenstand verweist auf eine weitere Zukunftsoption – oder das Ende aller Illusionen: das vergilbte Bild von Dillons junger Familie in seiner verschneiten Berghütte, der Berg von Gold in seinem Safe, der Transport eines prachtvollen Hauses über einen Bergkamm, die brennende Stadt vor dem makellosen Weiß des Schnees.

Das Scheitern der alten Pioniere bringt neue hervor. Dillons Mätresse Lucia folgt dem Zug der Bahnarbeiter und errichtet am Fuß des Tales ein neues Kingdom Come namens Lisboa – dieHeimat ihrer Eltern. So wird die Bedeutungslandkarte umgeschrieben. Dillons verstoßene Frau gab ihrer Tochter den Namen Hope. Es hätte auch ein schöner Name für eine Stadt sein können.

„Das Reich und die Herrlichkeit“. Regie: Michael Winterbottom. Mit Nastassja Kinski, Milla Jovovich, Wes Bentley u. a. USA 2001, 90 Min.

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