Heikle Mission am Horn von Afrika

Fast alle Staaten der Region, in der die Bundesmarine die Seewege sichern soll, stehen miteinander in Konflikt. Somalia ist bereits Zielscheibe der USA

von DOMINIC JOHNSON

Keine zehn Jahre nach dem wenig ruhmreichen Bundeswehreinsatz in Somalia droht eine Rückkehr deutscher Militärs ans Horn von Afrika. Diese Region ist von der Bundesregierung als eins von mehreren möglichen Einsatzgebieten deutscher Streitkräfte im US-Krieg gegen den Terrorismus genannt worden. Umfangreichster Teil des geplanten Einsatzes ist nach amtlichen Angaben die Bereitstellung von Seestreitkräften zum Schutz gefährdeter Schiffstransporte mit bis zu 1.800 Soldaten.

Es geht dabei um den Schutz der wichtigsten Seeroute der Welt: dier Strecke von Europa nach Asien. Sie führt aus dem Mittelmeer über den ägyptischen Suezkanal ins Rote Meer und von dort in den Golf von Aden, der in den Indischen Ozean mündet. Über sie kommen Öltanker aus den arabischen Fördergebieten nach Europa, und im Kriegsfall fahren westliche Kriegsschiffe in die Gegenrichtung. Das war im Golfkrieg 1990/91 der Fall und wäre wieder aktuell, sollten Soldaten oder Kriegsmaterial aus Europa auf dem Seeweg in die Nähe Afghanistans gebracht werden müssen.

Doch die Anrainerstaaten dieser Route sind zusammengenommen ein Pulverfass. Fast alle Staaten der Gegend stehen miteinander in Konflikt. Nirgendwo außerhalb Osteuropas hat es in den letzten zehn Jahren so viele konventionelle Kriege und Grenzveränderungen gegeben.

1990 vereinigten sich Nord- und Südjemen zu einem Staat. 1991 zerfiel Somalia in seine Clanbestandteile und befindet sich seitdem im Krieg. 1992 spaltete sich Eritrea von Äthiopien ab. Im Süden Sudans gibt es seit Jahrzehnten einen Bürgerkrieg mit religiöser Komponente. Zwischen Äthiopien und Eritrea fand 1998 bis 2000 ein blutiger Grenzkrieg statt. Somalia war 1992 Schauplatz der ambitioniertesten UN-Mission aller Zeiten, deren Scheitern 1993 besiegelt wurde, als Kämpfer von Bin Ladens Organisation al-Qaida somalischen Milizen halfen, eine US-Interventionstruppe zu verjagen.

Die meisten Aspekte des Afghanistankonflikts sind also auch hier versammelt. Dass Deutschland da ausgerechnet als Seemacht tätig werden könnte, überrascht. 2.675 französische Soldaten stehen bereits in der ehemaligen französischen Kolonie Dschibuti. Sie unterhalten dort die größte ständige europäische Militärbasis außerhalb Europas, zugleich den einzigen westlichen Flottenstützpunkt in der Region. Aber Frankreich hält sich derzeit zurück – aus gutem Grund: Französisch-amerikanische Rivalitäten beziehungsweise die entsprechenden, von lokalen Kontrahenten vermuteten Großmachtinteressen prägen die geopolitischen Zerwürfnisse am Horn von Afrika.

Grob gesagt lässt sich die Region in zwei Lager trennen, deren Konfrontationslinie quer durch das schwächste Land der Region läuft: Somalia. Das eine Lager besteht aus den engsten US-Alliierten in der Region, Äthiopien, Ägypten und Kenia, und umfasst ansonsten die nördlichen Teile Somalias, die sich im Laufe der Neunzigerjahre vom Rest Somalias abspalteten: Somaliland, das gegenüber von Jemen am Golf von Aden liegt, und Puntland, das die exponierte Küstenregion direkt am Horn umfasst.

Das andere Lager besteht aus Sudan, Libyen und der in Somalias Hauptstadt Mogadischu amtierenden somalischen „Übergangsregierung“. Die wurde im Sommer 2000 auf einer Friedenskonferenz in Dschibuti, also unter französischem Schutz, gebildet. Sie wird von der UNO anerkannt, von Somalias Islamisten mitgetragen und aus Saudi-Arabien und Jemen finanziell unterstützt. Dieser Ländergruppe ist bedingt auch Eritrea zuzurechnen, vor allem aus Feindschaft mit Äthiopien.

Motor der Feindschaft zwischen diesen beiden Gruppen ist ein „kalter Krieg“ um die Vorherrschaft in Somalia, der neuerdings immer heißer wird. Äthiopien unterstützt bewaffnete Gegner der somalischen Übergangsregierung und sagt, die mit der somalischen Regierung verbündete islamistische Organisation al-Ittihad sei mit al-Qaida liiert. „Manche mögen behaupten, dass al-Qaida und internationale Terrorgruppen nicht in Somalia sind; wir sind anderer Meinung“, sagte der äthiopische UN-Botschafter Abdulmejid Hussein am 19. Oktober und warnte: „Wir werden unseren Kopf nicht in den Sand stecken.“

Aus Somaliland kamen zugleich Anschuldigungen, Dschibuti diene Terroristen als Ort der Geldwäsche, und die Regierung Puntlands nannte Somalias Regierung ein „Taliban-Regime“. Somaliland und Puntland sehen sich als Opfer aktiver Destabilisierung durch Kräfte aus Mogadischu. In Reaktion darauf wirbt Somalias Regierung um internationale Unterstützung. Präsident Abdulkassim Salat sagte diese Woche am UN-Sitz in New York: „Wenn Somalia ein schwarzes Loch wird, wird es alle möglichen internationalen Terroristen anziehen.“ Die UNO überlegt derzeit, sich wieder aktiver in Somalia zu engagieren, sobald die Sicherheitslage das zulässt.

Während der regionale Druck auf Somalia zunimmt, wird das Land auch zur potenziellen Zielscheibe der USA. Vor wenigen Tagen berichtete die Washington Post, dass die US-Regierung Militäraktionen gegen al-Ittihad in Somalia in Erwägung ziehe, wobei die militärischen Operationen vor Ort von äthiopischen Truppen ausgeführt werden könnten.

Sollte Äthiopien mit US-Unterstützung in Somalia einmarschieren, würde ein offener regionaler Krieg ausbrechen und die gesamte Region destabilisieren. Da könnten auch deutsche Kriegsschiffe wenig ausrichten.