Rot-Grün bangt um die Mehrheit, die Union stellt Bedingungen

Viele Abgeordnete aus dem Regierungslager haben sich noch nicht festgelegt. Union und FDP wollen nur aushelfen, wenn der Einsatz auf sechs Monate befristet wird

BERLIN taz ■ Für seine Kollegen hatte der Fraktionsgeschäftsführer der SPD im Bundestag, Wilhelm Schmidt, eine kleine Spitze parat. „Wir müssen uns als Abgeordnete auch standfester erweisen vor Ort, wenn wir hier Politik machen wollen.“ Hier, das ist Berlin – und dort, das ist der Wahlkreis, in dem sich viele rot-grüne Parlamentarier derzeit unangenehme Fragen zum bevorstehenden Bundeswehreinsatz anhören müssen. Zusätzlich unter Druck geraten die Abgeordneten wegen der Listenaufstellung für den kommenden Wahlkampf. So sind manche Äußerungen aus dem Regierungslager auch unter dem Gesichtspunkt der politischen Zukunft einiger Parlamentarier zu bewerten.

Dem grünen Kriegsgegner Winfried Hermann war intern vorgehalten worden, er wolle mit seinen strikten Äußerungen gegen den Einsatz doch noch einen aussichtsreichen Platz auf der umkämpften Landesliste in Baden-Württemberg erringen. Neben Hermann bekundeten gestern die grünen Abgeordneten Christian Ströbele und Annelie Buntenbach ihre Ablehnung. Die Kritik blieb also auf die bekannten Stimmen beschränkt.

Bei der SPD ist die Situation weitgehend ruhig. Die meisten Gegner des Mazedonien-Einsatzes, denen Generalsekretär Franz Müntefering mit Konsequenzen bei der Listenaufstellung gedroht hatte, halten sich mit öffentlichen Aussagen zurück. Einzig der Bundestagsabgeordnete Uwe Jens, der am 19. September gegen die fraktionsübergreifende Solidaritätsadresse an die USA gestimmt hatte, legte sich auf ein Nein fest.

Ob die Koalition kommende Woche im Bundestag eine eigene Mehrheit für den Bundeswehreinsatz aufbieten kann, ist noch offen. Man werde klären müssen, „ob wir die Leute hinter uns haben“, sagte Schmidt. Das Parlament habe bereits in der Resolution vom 19. September die Bereitstellung militärischer Mittel zugesagt. Wer damals zugestimmt habe, der könne doch jetzt „nicht glauben“, dass die Welt inzwischen „eine andere“ geworden sei. Für gestern Abend war eine Sondersitzung der SPD-Fraktion angesetzt. Zeitgleich wollten auch die Abgeordneten der Grünen zu einer Aussprache zusammenkommen, eine Entscheidung wird aber nicht vor nächster Woche erwartet.

In einem Punkt immerhin kam die Regierung den Skeptikern entgegen: Im gestrigen Kabinettsbeschluss wird, wie von SPD-Fraktionsvize Gernot Erler angemahnt, das mögliche Einsatzgebiet genannt – allerdings mit der Arabischen Halbinsel, Mittel- und Zentralasien, Nordostafrika sowie den angrenzenden Seegebieten recht großzügig definiert.

Erler hatte gestern Morgen mit SPD-Fraktionschef Peter Struck gesprochen, später war Struck vor der Kabinettssitzung mit dem Kanzler zusammengekommen. In der Fraktionssitzung von Dienstagnachmittag hatten den Abgeordneten noch keine schriftlichen Unterlagen vorgelegen. Sie konnten vor dem Kabinettsbeschluss also keinen Einfluss mehr auf einzelne Formulierungen nehmen.

Für den Fall, dass die Regierung auf Stimmen aus der Opposition angewiesen ist, muss sich der Kanzler auf neues Ungemach gefasst machen. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, ihr CSU-Kollege Edmund Stoiber und die FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper verlangten, den Einsatz vorerst auf sechs Monate zu befristen – statt der vorgesehenen zwölf Monate. Im Parlament, so Merkel gestern, solle nun nach einem Ausweg gesucht werden. Aus der SPD-Fraktion hieß es, Änderungen an einem Regierungsantrag seien juristisch nicht möglich: „Wenn Frau Merkel meint, es gebe einen Weg, sollte sie uns das mal erklären.“

Zuvor hatte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Schmidt die vom Kabinett gewünschte einjährige Befristung begrüßt. So habe das Parlament für andere Aufgaben „den Rücken frei“. Die Gefahr einer Entmachtung des Bundestages sieht Schmidt nicht. Es stehe dem Bundestag frei, die Frage der Bereitstellung wann auch immer auf die Tagesordnung zu setzen. Der Bundestag sei „jederzeit Herr des Verfahrens“. Schmidt fügte hinzu: „Wenn er das will.“ SEVERIN WEILAND