gespräch zur lage der fußballnation
: Auch Groundhopper leiden unter dem Absturz

Kiew statt Thailand

taz: Herr Helm, Sie sind Vorsitzender der VdGD, der Vereinigung der Groundhopper Deutschlands. Ich vermute mal, das diesjährige Jahrestreffen findet in Kiew statt.

Jörn Helm: Ja, es ergab sich nichts anderes mehr. Eigentlich war Thailand geplant, aber das hat sich ja nun erledigt, weil die Länderspielreise der Nationalelf wegen der Relegationsspiele ausfiel. In Kiew sind aber viele von uns schon mal gewesen, deshalb wird so gut wie niemand mehr da hinfahren.

Das Vereinstreffen fällt also in diesem Jahr mehr oder weniger aus?

Nicht ganz, aber es findet halt im ganz kleinen Rahmen statt. Ich werde mit dem Zug hinfahren, obwohl ich auch schon mal dort war. Der Reiz ist dann natürlich nicht mehr so groß.

Kiew ist eigentlich abgehakt?

Ja, normalerweise fährt man da nicht noch ein zweites Mal hin, das ist einfach viel zu teuer. In Deutschland und in den Nachbarstaaten ist das etwas anderes. Nach Mailand, Rom oder Manchester fährt man öfter.

Sind Länderspiele der Kuchen und Klubspiele das tägliche Brot des Groundhoppers?

Meine Basis ist der HSV. Wenn der in Stuttgart oder München spielt, dann fahre ich halt am Sonntag darauf nach Italien. Oder von Cottbus aus gleich noch nach Polen.

Und dort betrachten Sie ein Zweitligaspiel einfach nach der Devise: Der Bessere soll gewinnen?

Es ist eindeutig das Drumherum, die Atmosphäre, die fasziniert. Man hofft auf ein gutes Spiel, aber gerade in den unteren Ligen spielt das gar keine Rolle. Es interessiert: Wie kommt man zum Stadion, und was gibt’s da für Besonderheiten?

Was war Ihre weiteste Reise?

Letztes Jahr die zur Olympiade nach Sydney. Da war ich knapp drei Wochen.

Wie viele Länder haben Sie wegen der Fußballstadien besucht?

In diesem Jahr das 50. Das war Griechenland, zum WM-Qualifikationsspiel. In Europa fehlen nur wenige: Andorra, Aserbaidschan, Zypern, Bosnien, Jugoslawien, Weißrussland und Mazedonien. Was mir noch ganz fehlt, ist Südamerika. Aber ab nächstes Jahr wird das angepackt, da freue ich mich schon sehr drauf.

Findet Ihr nächstes Jahrestreffen beim WM-Turnier in Asien statt?

Eigentlich haben wir das immer so gehandhabt. Aber inzwischen hat sich die Lage dramatisch verschärft.

Inwiefern?

In Hinsicht auf die Eintrittspreise. Bei der EM 1988 hatte die billigste Karte für das Finale in München noch 23 Mark gekostet. Danach ging es stetig nach oben. Seit der WM in Frankreich ist Hopfen und Malz verloren. Wenn Preise von umgerechnet 3.000 Mark verlangt werden, ist schlicht ein anderes Publikum gefragt. Das wird bei der Weltmeisterschaft in Japan noch extremer werden, allein durch das wahnsinnige Preisniveau dort. Dazu noch die Reiserei zwischen den Ländern. Aus dem Grunde werden auch nicht allzu viele Groundhopper hinreisen.

Hoffen Sie trotzdem, dass Deutschland sich qualifiziert?

Ja, selbstverständlich. Ich will auch zur WM, nur ist ein komplettes Turnier einfach nicht mehr drin. Die einfache Finalkarte kostet 650 Mark, das hat in meinen Augen nichts mehr mit Fußball zu tun.

Fahren Sie auch, wenn Deutschland sich nicht qualifiziert?

Das ist noch nicht ganz klar. Ich könnte mir vorstellen, dass ich dann vielleicht zwei Wochen hinfahre und mir sonst eher Testspiele in anderen asiatischen Ländern ansehe.

Wie viel haben sie bisher für die Reisen ausgegeben?

Das hab ich nie nachgezählt und möchte es auch nicht wissen.

Haben Sie eine Frau oder Freundin?

Leider nein.

Weil es schwierig ist, eine zu finden, die das mitmacht?

Das ist sicherlich der Hauptgrund. Man ist ja ständig unterwegs.

Was machen Sie eigentlich beruflich?

Ich arbeite bei einem Steuerberater als Steuerfachgehilfe.

Dann wissen Sie wenigstens, wie man die Reisen steuerlich absetzen kann, oder?

Nein, da hab ich leider keine Möglichkeiten.

INTERVIEW: GUNNAR LEUE