Kaiserschnitt auf Wunsch

Immer mehr Kinder in Deutschland kommen per Kaiserschnitt auf die Welt. In manchen Kliniken entbindet schon fast jede zweite Frau im OP statt im Kreißsaal. Bei vielen künftigen Eltern steht schon vorher fest, wie das Kind auf die Welt kommen soll

„Trotzdem handelt es sich um eine potenziell gefährliche Bauchoperation“

von EVELYN HAUENSTEIN

Englische Hebammen schlagen Alarm: Jedes fünfte auf der Insel geborene Baby erblickt das Licht der Welt inzwischen per Kaiserschnitt. Die großangelegte Studie, Ende Oktober vom britischen Gesundheitsministerium veröffentlicht, enthüllte außerdem, dass die Kaiserschnittrate in den letzten dreißig Jahren von drei auf über zwanzig Prozent hochgeschnellt ist, in manchen Krankenhäusern entbindet schon fast jede zweite Frau im OP statt im Kreißsaal.

Ähnlich ist die Situation in Deutschland. Auch hierzulande greifen Frauenärzte zunehmend zum Skalpell – keineswegs nur aus medizinischen Gründen. Selbst wenn nichts gegen eine normale Geburt sprechen würde, wird operiert statt geboren. Der geplante, bewusst gewählte Kaiserschnitt liegt voll im Trend. „Paare kommen in meine Sprechstunde und erkundigen sich als erstes nach einem Kaiserschnitt“, berichtet Hans-Jürgen Kitschke, Leiter des Frauenklinikums in Frankfurt-Offenbach.

Im Rahmen der hessischen Perinatalerhebung wertete Kitschke über 600.000 Geburten in hessischen Krankenhäusern aus – und kam zu alarmierenden Ergebnissen: Im Jahr 1990 bekamen 17 von hundert Frauen einen Kaiserschnitt, zehn Jahre später waren es schon 23 Prozent. Dabei legen Gynäkologen die Indikationen für eine Schnittentbindung immer großzügiger aus, beobachtete Kitschke.

Medizinische Gründe sind zum Beispiel ein Wehenstillstand, ein Missverhältnis zwischen der Größe des Kopfes und dem mütterlichen Becken und schlechte Herztöne oder auch eine abnormale Lage des Kindes. Bei wie vielen Geburten diese Gründe dann tatsächlich eine Rolle spielten und bei wie vielen von vorneherein der Wunsch der Eltern den Ausschlag gab, wird in Deutschland nicht statistisch erfasst.

In England werden mindestens sieben Prozent aller Schnittentbindungen ohne Notwendigkeit vorgenommen, in anderen Ländern ist die Rate noch weit höher: So gilt es zum Beispiel in der Oberschicht Brasiliens als unfein, durch die Scheide zu gebären. In Rio de Janeiro bekommen 85 von hundert Frauen einen Kaiserschnitt.

Was bewegt eine Frau dazu, sich einen Kaiserschnitt statt einer normalen Geburt zu wünschen? Die Gründe dafür sind vielfältig: Sicher spielt der uralte Traum von der schmerzfreien Geburt eine Rolle, analysiert der Medizinhistoriker Daniel Schäfer in seinem Werk „Geburt aus dem Tod“ (Guido Pressler Verlag 1999). Manche Frauen haben eine traumatische erste Geburt hinter sich und hoffen bei der nächsten Schwangerschaft die Schmerzen durch eine Operation umgehen zu können: Lieber Messer und Maske im OP statt stundenlangem schweißtreibendem Pressen und Brüllen im Kreißsaal.

Tatsächlich ist der Kaiserschnitt aus der Sicht des Operateurs ein technisch simpler Eingriff. „Trotzdem handelt es sich um eine potenziell gefährliche Bauchoperation, das muss man einmal klar so sagen“, konstatiert Gynäkologe Kitschke. Nach einem Kaiserschnitt sterben neunmal mehr Mütter als nach einer normalen Geburt – wenn man nur die geplanten Kaiserschnitte betrachtet und Hochrisikogeburten außer Acht lässt, sind es immer noch dreimal mehr Frauen. Die Gefahr von Thrombosen und Infektionen ist erhöht. Narben bleiben nicht nur auf der Haut, sondern auch im Bauch zurück, was zu Problemen bei weiteren Schwangerschaften führen kann.

Selbst wenn das Kind bei Wehenschwäche der Mutter im Geburtskanal feststeckt, ist der Kaiserschnitt nicht unbedingt die bessere Alternative. Danach kommt es häufiger zu größeren Blutungen und anderen Komplikationen als bei einer Zangen- oder Saugglockengeburt, wie eine neue Studie im Fachblatt Lancet (Bd. 358, S. 1203, 13. Okt. 2001) gezeigt hat. Auch wenn alles glatt verläuft: Der Schmerz, den sich Mütter bei der Geburt selbst scheinbar ersparen, holt sie dann wieder ein, wenn der Körper sich von der Operation regeneriert.

„Die meisten Frauen, die einen Kaiserschnitt wählen, tun das aus Verunsicherung“, sagt Magdalene Weiß, Präsidentin des Bundes Deutscher Hebammen. Kaum eine Schwangere käme mit Lust auf einen solchen Eingriff ins Krankenhaus. Doch die hochtechnisierte Reproduktionsmedizin, zum Beispiel in Form von aufwändigen Vorsorgeuntersuchungen, lasse werdenden Müttern kaum Zeit, „sich zuversichtlich auf die Geburt als kreativen Prozess vorzubereiten, den sie mit ihrer Kraft selbst gestalten kann.“

Ärzte wissen um die Gefahren. Dennoch würden sich selbst kritisch denkende Geburtsmediziner dem elterlichen Verlangen nach einem Kaiserschnitt kaum verweigern. Nicht nur aus Respekt vor dem weiblichen Recht auf Selbstbestimmung: Auch die Angst spielt mit. Wenn ein Gynäkologe bei einem schwierigen Geburtsverlauf keinen Kaiserschnitt anordnet und Kind oder Mutter Schaden nehmen, steht schnell der Rechtsanwalt auf der Matte.

„Geburtshilfe ist zur Defensivmedizin geworden“, stellt Hans-Jürgen Kitschke fest. Unter den Frauenärzten selbst herrscht Unsicherheit und Uneinigkeit, wann ein Kaiserschnitt wirklich notwendig ist und wann nicht. Die Richtlinien dafür sind von Bundesland zu Bundesland verschieden.

Die Kasse klingelt allerdings überall gleich: Gebärende landen auch deshalb immer öfter im Operations- statt im Kreißsaal, weil sich Kaiserschnitte für die Kliniken finanziell besser rechnen als langwierige Vaginalgeburten. Mehr als das Doppelte kann eine Klinikverwaltung oder auch ein Belegarzt abrechnen, wenn geschnitten statt abgewartet wird. Gerade für niedergelassene Frauenärzte ist es weitaus bequemer, schnell einen Kaiserschnitt zu machen als die ganze Nacht Wache zu schieben, bis das Baby sich zur Ankunft entschließt.

Dieser Zeitpunkt scheint im Denken mancher Gynäkologen ohnehin keine Rolle mehr zu spielen. Kurz vor dem Jahreswechsel 1999/2000 suchten Redakteure von Günther Jauchs Magazin „Stern TV“ Leiter von deutschen Frauenkliniken auf – mit versteckter Kamera im Handgepäck und einem willigen Elternpaar als Lockvogel. Deren Anfrage: Sie wünschten sich ein Milleniumsbaby, das auf die Sekunde genau zur Jahrtausendwende per Kaiserschnitt geboren werden sollte. Drei von vier befragten Chef-Gynäkologen erklärten sich dazu bereit.