Ein Hauch von Großer Koalition

Während dem Kanzler das eigene Fußvolk abhanden kommt, bietet die Union ihre parlamentarische Unterstützung an – als sei längst vergessen, dass beim Mazedonien-Einsatz auch viele Abgeordnete von CDU und CSU mit Nein gestimmt hatten. Grüner Schulz attackiert vehement PDS

Demonstrativ steuert der Kanzler auf die CSU-Bänke zu, wechselt ein paar Worte – und demonstriert den Grünen: Ich kann auch ohne euch

BERLIN taz ■ Michael Glos, der Landesgruppenchef der CSU, pflegt den Kanzler normalerweise nicht zu loben. Aber diesmal gibt sich Glos betont großzügig. Wohl nicht ohne Hintergedanken, wie man bei dem Unterfranken vermuten darf. Gerhard Schröder steht an diesem Tag im Bundestag wie der Kaiser da, dem das Fußvolk abhanden zu kommen droht. Und so nutzt Glos die Gelegenheit. „Wir haben Vertrauen in Sie“, ruft er ins Plenum. Schröder habe bislang „eine gute Figur“ gemacht.

Als wollte er schon eine Krisenkoalition heraufbeschwören, wendet sich der CSU-Politiker direkt an den Kanzler: „Wenn Sie uns im Interesse unseres Landes brauchen, werden wir uns zur Verfügung stellen.“ Nach der Rede sieht man Schröder auf Glos zusteuern und einige Worte wechseln. Einige Reihen weiter sitzen die Grünen. Und es scheint so, als wolle Schröder ihnen signalisieren: Ich muss nicht mit euch. Die Geste des Kanzlers, offenkundig wohlkalkuliert, setzte optisch ins Bild, was gestern im Reichstag während der Aussprache über den möglichen deutschen Militärbeitrag in der Luft lag: ein Hauch von Großer Koalition.

Geschickt nutzte die Union die Sollbruchstellen des labilen rot-grünen Bündnisses. Glos und Fraktionschef Friedrich Merz boten ihre Parteien als verlässliche Größen an – als sei längst vergessen, dass bei der Abstimmung über den Mazedonien-Einsatz auch viele Abgeordnete der CDU/CSU mit Nein gestimmt hatten. Man unterstütze die Bereitstellung militärischer Mittel, sagte Merz. Mit einem Seitenhieb auf die Gegner im rot-grünen Lager warnte er vor der „Illusion“ eines „deutschen Sonderweges“.

Nur beiläufig streiften Merz und Glos diesmal die am Tag zuvor noch von der Union monierten Widersprüchlichkeiten bezüglich des amerikanischen Hilfsappells. „Sie können sagen, wie es wirklich ist“, sagte Merz. Selbst wenn der Kanzler militärische Mittel von sich aus angeboten habe, dann zeige das nur, dass er „im Interesse des Landes“ gehandelt habe. Auch FDP-Chef Guido Westerwelle bot Unterstützung an. Er stichelte, Schröder müsse sich in der Außenpolitik gelegentlich mehr auf die Opposition als auf die eigenen Reihen verlassen.

Der Kanzler selbst hatte in seiner Eingangsrede die völkerrechtliche Legitimation für die Bereitstellung der Bundeswehr referiert. Schröder erinnerte an den Beschluss des UN-Sicherheitsrates, an die fraktionsübergreifende Erklärung des Bundestages vom 19. September, in der militärische Mittel versprochen wurden. „Was wäre das für eine Solidarität, die wir vom Erfolg einer Maßnahme abhängig machen“, wandte er sich an die Kritiker. Solidarität sei keine Einbahnstraße, betonte er gleich zweimal.

Auch vergaß Schröder nicht, seinen Außenminister zu loben, der am Vorabend wutentbrannt eine Sondersitzung der Grünen-Fraktion verlassen hatte. Joschka Fischers Rede war vor allem eine Rede an seine eigene Partei: Er erinnerte an die Herkunft der Grünen, nannte Kriege „widerwärtig“, verteidigte das Recht auf Sitzblockaden – was ihm heftige Gegenrufe der Union, aber ebenso heftigen Applaus der Grünen und vieler SPD-Abgeordneter einbrachte.

Zwar sprach er nicht von persönlichen Konsequenzen. Auch vermied Fischer jeden Bezug zur Zukunft der Koalition. Doch war seine Mahnung auch so deutlich genug, dass dahinter die Existenzfrage der Regierung durchschimmerte. Es gehe um die Frage, ob der wichtigste Bündnispartner allein gelassen werde. Sollte dies der Fall sein, werde das weit reichende Konsequenzen für die Bundesrepublik nach sich ziehen. Fischer zählte diese Konsequenzen einzeln auf – für die Sicherheit und die Bündnisfähigkeit Deutschlands sowie für die Zukunft Europas.

Am Ende war Fischer sogar für einen Augenblick entspannt. Da sah man ihn neben Werner Schulz im Plenum sitzen. Der frühere Bürgerrechtler hatte zuvor mit einem kurzen emotionalen Beitrag auf die Rede des PDS-Fraktionschefs Roland Claus geantwortet. Schulz warf der PDS „unerträgliche Heuchelei“ vor. Er erinnerte Gysi und Claus an ihre Mitgliedschaft in der SED, die den „furchtbaren Krieg“ der UdSSR in Afghanistan bis zuletzt mitgetragen habe. Für einen Augenblick waren die Grünen an diesem Tag in der Offensive – und Fischer klopfte Schulz anerkennend auf die Schulter.

SEVERIN WEILAND