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Wolfgang Müllers Buch „Die Elfe im Schlafsack“
: Je einsamer, desto überkochender

Die Idee, eine so präzise Landkarte zu erstellen, dass sie selbst die Ausmaße des abzubildenden Landes annimmt, ist schon älter und stammt von Jorge Luis Borges. Diese Fiktion einer verdoppelten Welt hat nichts von ihrem Reiz eingebüßt. Das weiß auch Wolfgang Müller, der sich seit Jahren damit beschäftigt, seine Sicht auf Island deckungsgleich mit der Wirklichkeit werden zu lassen: in Ausstellungen über das „Land ohne Eisenbahn“, in diversen taz-Kolumnen, per selbst gebauten Elfensandkästen, mit Chansons über „Fehehehehhehehn“, die er gesehen hat, oder in kurzweilig parlierenden Büchern wie dem gerade erschienenen „Die Elfe im Schlafsack“.

Dabei hängt das Genre sehr vom Gegenstand ab. Wie sollte man auch über Elfen, Zwerge und genderbendernde Odinshühner berichten, wenn nicht in Märchen oder Fabeln? Dauernd hat man es bei den Zauberwesen mit Phänomenen aus der Welt des Unsichtbaren zu tun, die ihre Existenz den Menschen nur dann zeigen, wenn sie allein mit ihnen sind. Das ist überhaupt die perfekte Grundlage, um etwas zu erzählen, was andere nicht schon längst kennen.

Gleichwohl kann man sich beim Lesen schnell hineinfinden in das, was da erlebt wurde mit „Unsichtbarmachungssteinen“, „geilen Fossengrimmen“ oder „Gullmaevill, dem gutbestückten Gummizwerg“, der sich gerne anpinkeln lässt. Die Überzeugungskraft im Umgang mit Geistern ergibt sich aus Müllers genauen Islandkenntnissen, durch die er seine absurd anmutenden Storys leichthin mit dem Alltag abgleicht. Ein Museum für Säugetierpenisse, die erst 1963 entstandene Insel Surtsey oder Mick Jagger, der sich am 31. Juli 1999 eine braune Mütze in Reykjavík kauft – nichts davon ist erfunden.

Fast scheint es, als käme Müller jedes Zeugnis recht, um damit das Unfassbare seiner Ausführungen zu unterfüttern. Dafür spricht auch das Elfenglossar am Ende des Buches, aus dem man erfährt, dass sogar der Exgeneralsekretär der Sozialistischen Partei Islands an Trolle glaubt. Besser noch sagt es Úlfur Hródólfsson: „Wenn wir also wieder Möglichkeiten zulassen, können wir auch wieder mehr entdecken.“ Diese Maxime passt in Müllers Konzept: Dauernd gibt es kleine Türen hinter Büschen, durch die man von der einen Welt in die andere gelangt, sind die Übergänge auch im Sprachraum des Erzählens fließend. Das Gespräch über sexbesessene Zwerge entwickelt sich fast nebenbei nach dem Besuch des einzigen Lederschwulenclubs in Reykjavík, es ist quasi die Weiterführung des Begehrens mit den Mitteln der Literatur. Offenbar bleibt in der Einöde Islands nichts als Imagination übrig, wenn es bei Müller sogar über den „nördlichsten Darkroom der Welt“ heißt: „Er wird jedoch nur selten benutzt. Man kennt sich halt recht gut im dünnbesiedeldsten Land Europas.“ Je einsamer und monotoner die Gegend, desto überkochender werden die Fantasien. Nach diesem überaus romantischen Prinzip scheint sich Müller bei seinen Islanderkundungen vorzuarbeiten.

Manchmal helfen ihm auch einheimische Bekannte weiter, wie etwa Marta, die sich in einer Episode an die alten Zwergenkriege erinnert, nachdem sie zuvor noch gelangweilt in Erotikmagazinen geblättert hatte. Nun erfährt man von ihr, wie sich die Süd- und Nordvölker mit Tarnmützen bewaffneten, um dann in der Schlacht festzustellen, dass die Unsichtbarkeit für beide Seiten keinen Vorteil, sondern bloß Probleme brachte. Das ist eine glaubhafte Sage angesichts der wirren Realität, in der die USA mit camouflierten Elitetruppen versteckte Taliban jagen. HARALD FRICKE

Wolfgang Müller: „Die Elfe im Schlafsack. Neue Märchen und Fabeln aus Island“. Verbrecher Verlag Berlin 2001, 102 S., 24 DM