Werben um die Abweichler

In Einzelgesprächen will Schröder die Kriegsgegner bearbeiten. Bei der SPD geht man von vier Gegenstimmen aus, bei den Grünen sind es bis zu fünfzehn

aus Berlin SEVERIN WEILAND

Uwe-Karsten Heye, seines Zeichens Regierungssprecher, stellte es gestern in der Bundespressekonferenz klar. Eine Änderung des Regierungsantrags für die Bereitstellung der militärischen Mittel werde es nicht geben. Damit scheint eine Befristung auf nur sechs Monate vom Tisch, wie sie Union, FDP und einzelne Grüne verlangt hatten.

Dennoch ließ Heye die Tür für einen möglichen Kompromiss offen. Der Bundestag könne die Regierung ja jederzeit auffordern, zum jeweiligen Stand der militärischen Operation Stellung zu nehmen. Auch sei das Parlament frei, mit dem Bereitstellungsbeschluss gleichzeitig einen Entschließungsantrag zu verabschieden. Über eine solche Möglichkeit wird seit einigen Tagen bei SPD und Grünen nachgedacht. Es hieß, in einem solchen Antrag könne man die Bundesregierung zu verstärkten politischen und humanitären Bemühungen auffordern.

Selbst ein solcher zusätzlicher Entschließungsantrag wird nicht ohne weiteres die eigene rot-grüne Mehrheit sichern. Mittlerweile scheint sich der Kanzler damit abzufinden, dass er bei der Abstimmung kommende Woche auf die Hilfe von Union und FDP angewiesen ist. Zweideutig sagte Heye gestern in Berlin, der Antrag sei schließlich an „das gesamte Parlament“ gerichtet. Man gehe davon aus, dass diese „historische Weichenstellung“ mit sehr großer Mehrheit gebilligt werde. Das wäre nach der Abstimmung über den Mazedonieneinsatz Ende August bereits das zweite Mal, dass Schröder in einer zentralen außen- und sicherheitspolitischen Frage von der eigenen Gefolgschaft im Stich gelassen wird.

Noch hofft Schröder, dies vermeiden zu können. In Einzel- und Gruppengesprächen wollen er und Fraktionschef Peter Struck in den nächsten Tagen Überzeugungsarbeit leisten. Am Montag will Schröder mit der SPD-Linken zusammenkommen, am Tag danach erst vor den Grünen, dann vor den FDP-Abgeordneten sprechen. Diese Reihenfolge scheint nicht zufällig gewählt. Offenkundig will Schröder dem Koalitionspartner signalisieren, dass die SPD über eine Alternative zur Regierungsbildung verfügt.

Die Grünen-Fraktion trat gestern Nachmittag erneut zu einer Sondersitzung zusammen, nachdem die Debatte am Mittwochabend mit dem Auszug des Außenministers im Eklat geendet hatte. An der gestrigen Diskussion über die Folgen der Abstimmung für Partei und Regierung nahm Joschka Fischer nicht teil. Er war auf dem Weg zur UN-Generalversammlung, wo er am Montag eine Rede halten wird.

Auch bei den Kriegsgegnern gibt es offenbar die Sorge vor einem möglichen Ende der Koalition. Der Parteilinke Christian Ströbele sagte, mit einer geringen Zahl von Abweichlern könne Schröder leben. Bei einer größeren Zahl von Neinstimmen werde es aber „sehr, sehr ernst“. Bei früheren Abstimmungen zu Kriegseinsätzengab es bei den Grünen eine relativ stabile Zahl von 4 bis 6 Kriegsgegnern. Diesmal wird von bis zu 15 Abweichlern ausgegangen. Nur 7 Abgeordnete könnten mit Nein stimmen, ohne dass Rot-Grün die eigene absolute Mehrheit verlöre.

Aber es liegt nicht allein an den Grünen, dass die Regierung mit den Stimmen von FDP und CDU/CSU rechnen muss. Unwägbarkeiten gibt es auch in der SPD-Fraktion. Dort geht man von 4 Gegenstimmen aus. Die Parlamentarier Uwe Jens und Gudrun Roos haben sich bereits öffentlich festgelegt, bei Konrad Gilges und Konrad Kunick gilt ein Nein als wahrscheinlich. Die Exponenten der Parteilinken, Andrea Nahles und Detlev von Larcher, sind dagegen auf pragmatischem Kurs. Bei aller Abwägung sei er zur Überzeugung gekommen, so von Larcher gestern, dass er den Einsatz nicht ablehnen könne. Die Grundlagen, auf denen die US-Anforderung basiere, seien eindeutig. Der UN-Sicherheitsrat habe den USA nach den Terroranschlägen das Recht auf Selbstverteidigung zugesprochen, und der Bündnisfall sei von der Nato festgestellt worden.

Nahles und von Larcher hatten bereits am Mittwoch die maßgeblichen Positionen der Linken in einer Erklärung zusammengefasst – und dabei erkennen lassen, dass sie Schröder zumindest nicht um seine Mehrheit bringen wollen. Sie forderten politische und humanitäre Hilfe. Außerdem solle der Kanzler die USA zum „noch sorgfältigeren und zielgenaueren Einsatz von Bomben auschließlich auf militärische Ziele des terroristischen Regimes in Afghanistan“ bewegen.

Ein Nein zum Regierungsantrag wird in der Erklärung der Parteilinken mit keinem Wort ausgesprochen. Lediglich zum Schluss heißt es, der Antrag für die Entsendung der Bundeswehr dürfe nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Auslandseinsätzen unterlaufen. Auch müsse gewährleistet sein, dass der Bundestag jederzeit über den Einsatz beraten und „gegebenenfalls die Streitkräfte zurückrufen“ könne.