Islam ist das Top-Thema

Die 34 islamwissenschaftlichen Institute könne sich vor Nachfragen kaum mehr retten: Studenten, Schüler, Volkshochschulen – alle wollen ihrer „massiven Wissensdefizite“ über den Islam ausgleichen

„Das Interesse am Islam war seit dem Golfkrieg nicht mehr so groß.“

von JEANNETTE GODDAR

Der größte Hörsaal im Otto-Suhr-Institut platzte aus allen Nähten. Über 200 Studierende hatten sich an der Freien Universität Berlin zu einem Kolloqium über „Islam, Islamismus und Terrorismus“ eingefunden. Auf dem Podium saß die einzige Professorin für Islamwissenschaften an der Freien Universität Berlin, die sich seit Jahren einen Ruf als kritische Islam-Analystin erworben hat. Gudrun Krämer referierte vor vollen Reihen. Über Lautsprecher musste ihr Vortrag ins Foyer übertragen werden. Die New Yorker Anschläge und der Krieg gegen Usama Bin Laden haben die Nachfrage der StudentInnen nach Wissen über den Islam entfacht.

Die Studenten rennen seit Beginn des Wintersemesters den Islamwissenschaftlern die Türen ein: „Jede Veranstaltung, die mit der Moderne zu tun hat, ist rappelvoll“, sagt Gudrun Krämer. Auch Stefan Reichmuth, Islamwissenschaftler an der Universität Bochum, bestätigt, „dass das Interesse seit dem Golfkrieg nicht mehr so groß war“. Berlin wie Bochum verzeichneten 10 bis 20 Prozent mehr Anmeldungen für das Wintersemester.

Auch die Marburger Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann kommt gar nicht mehr nach mit dem Informieren. Das Interesse, sagt sie, geht weit über die Uni hinaus: „Islam ist das Top-Thema derzeit.“ Stegemann war am Marburger Phillips-Gymnasium eingeladen, um mit Zehntklässlern über den Islam zu sprechen, sie war in einem voll besetzten Hörsaal der Volkshochschule, Parteien und Kirchen laden sie ein. Was sie registriert, sind massive Wissensdefizite – und großes Interesse.

Das kommt nicht von ungefähr. Die inmitten westlicher Gesellschaften vorbereiteten Anschläge haben das Gefühl offen gelegt, über den Islam viel zu wenig zu wissen. Für die 34 islamwissenschaftlichen Institute der Republik stellen sich einige Fragen drängender als bisher: Das Verhältnis von Islamismus und Gewalt harre dringend einer umfangreicheren wissenschaftlichen Bearbeitung, konstatiert etwa Ekkehard Rudolph, Islamwissenschaftler an der Universität Erfurt. Rudolph warnt davor, die in Deutschland vorhandenen „Gewaltpotenziale“ in der islamistischen Szene aus der Forschung zu drängen: „Auch Randphänomene müssen von den Islamwissenschaften beobachtet werden.“

Auch Ursula Spuler-Stegemann fordert dringend, sich stärker der Beobachtung der Muslime im eigenen Land anzunehmen. Angesichts erkennbar islamistischer Strömungen in Deutschland sei „natürlich auch der Extremismus bei uns ein Thema“. Überhaupt, so Spuler-Stegemann, hätte man sich in den Islamwissenschaften aber auch ganz generell zu wenig mit der Gegenwart beschäftigt.

Gudrun Krämer ist die Abgrenzung von Islamisten zu gewaltbereiten Islamisten wichtig. Sie fordert, Unterscheidungen zu treffen: Zwischen der Mehrheit innerhalb der wenigen Gewaltbereiten, die Gewalt als Mittel der Selbstverteidigung gegenüber der westlichen Hegemonie betrachten. Und jenen wenigen, die den Islam an sich als „offensive Religion“ ansehen.

Amr Hamzawy, Mitarbeiter der Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients an der FU, macht sich Gedanken über die arabische Medienwelt nach dem 11. September: Auch wenn die allermeisten arabischen Journalisten die Anschläge auf das World Trade Center verurteilten, konstatiert Hamzawy nüchtern, fänden sich im „Subtext“ doch immer wieder Rechtfertigungstendenzen: vom Verweis auf die Fehler der US-amerikanischen Nahost-Politik bis zur unreflektierten Wiedergabe antisemitischer Verschwörungstheorien.

Wer Islamwissenschaften studieren will, muss sich allerdings auf deutlich mehr als aktuelle Themen gefasst machen: Zur obligatorischen Beschäftigung mit Grundlagen der Islamwissenschaften wie dem Frühislam oder der Koranlehre gesellt sich der Spracherwerb: Im Hauptfach müssen mindestens zwei Sprachen gelernt werden; Arabisch stößt in diesen Zeiten plötzlich auf enorme Resonanz. An der FU Berlin schrieben sich kurz vor Beginn des Wintersemesters plötzlich über hundert Studenten für den Kurs „Arabisch 1“ ein.

Professor Jamal Malik veranstaltet heute an der Universität Erfurt ein uniweites Kolloquium über „Islamischen Fundamentalismus“ (mit Friedemann Büttner). Uni Erfurt, Lehrgebäude 4. Am 27. November ist Professor Khaled Masud vom International Institute for the Study of Islam in the Modern World, Leiden, Niederlande, zu Gast an der FU Berlin. Das Thema: „Muslim Fears“. Ort: FU Berlin, Henry-Ford-Bau