FDP und Grüne suchen gemeinsame Bildungspolitik

Der gravierendste Unterschied zwischen FDP und Grünen ist die Förderphilosophie: Benachteiligten helfen? Oder besonders Begabten? Oder beiden?

„Grüne und FDP könnten die Autonomie der Schule gegen die Bürokratie durchsetzen.“

Konkurrenz belebt das Geschäft – oder hinterlässt Wettbewerbsverlierer. Die FDP und Bündnis 90/Die Grünen sind zwei konkurrierende Parteien. In Berlin kommen sie nun in die Verlegenheit, als bisherige scharfe Konkurrenten um die Regierungsteilnahme nach Gemeinsamkeiten suchen zu sollen. In der Bildungspolitik, so heißt es allenthalben, sei der Widerspruch zwischen Gelb und Grün am größten. Was eint, was trennt also die Konkurrenten im Umgang mit Schule und Bildung?

Beide Parteien bekennen sich in ihren Bildungsprogrammen zu mehr Autonomie für die Schulen. Sie wollen die Eigenverantwortung der einzelnen Schulen erheblich stärken. Nun gibt es fast niemanden mehr in dieser Republik, der auf der rhetorischen Ebene gegen diese Forderung Einwände erhöbe. Trotzdem lässt die Autonomie auf sich warten. Sie wird durch widersprüchliche Handlungen von politischer und Verwaltungsseite behindert. Und auch die Schulen drängen ja nicht bedingungslos nach mehr Rechten und Pflichten, ihre knappen Finanzen zu verwalten oder ihre Lehrkräfte selbst auszusuchen.

Hier könnten FDP und Grüne eindeutige Signale aussenden. Es geht darum, das Projekt der Autonomie gegen eine zentralistische und bürokratische Verwaltung durchzusetzen, die gerade in Berlin noch immer stark ist. Gleichzeitig könnten Grüne und FDP freie Schulen entschiedener unterstützen. Das brächte Bewegung in die Bildungslandschaft.

Gravierende Unterschiede gibt es natürlich auch. Die FDP besteht auf 12 Schuljahren bis zum Abitur. Und sie attackiert in Berlin die 6-jährige Grundschule. Die Grünen haben ein eher inhaltliches Konzept zur Schulzeit: Sie legen den Schwerpunkt nicht auf die flächendeckende Struktur des Gymnasiums, sondern versuchen die Bildungsgänge zu individualisieren. Das heißt konkret, den Zeitpunkt der Einschulung zu differenzieren. Oder beim Übergang von der Sekundarstufe I zur Sek II Wahlmöglichkeiten zu lassen. Nach dem Modell der Grünen können Jugendliche zwischen 11 und 14 Jahren bis zur Hochschulreife brauchen, wobei die Mehrheit es nach 12 Jahren schaffen würde. Dieses Konzept ist mit einem echten Reformschub verbunden. Denn es bringt die notwendige Individualisierung der Pädagogik voran – ohne überkommene Strukturdebatten wieder zu beleben.

Die FDP will mehr Wahlmöglichkeiten für Eltern und Kinder nach der 4. Klasse – sprich: eine weitere Aufweichung der 6-jährigen Grundschule. In Berlin ist das eine hoch brisante und emotional behaftete Debatte. Richtig ist: Eltern und Kinder gegen ihren Willen in eine bestimmte Schulform zu zwingen, schafft Unzufriedenheit und ist auf Dauer auch nicht durchhaltbar. Dies zeigt sich allein darin, dass auch die Ausweisung fester Schuleinzugsbereiche die soziale Entmischung in Berlin nicht aufgehalten hat. Warum also nicht das wirkungslose Instrument aufheben und die Wahlfreiheit für die Grundschule ermöglichen? Um einer weiteren sozialen Segregation entgegenzuwirken und Ghettoschulen zu verhindern, bräuchte es dann allerdings Konzepte besonderer Magnetschulen oder Leuchttürme in Problemgebieten. Und eine zweite Frage würde sich stellen: Kann der besonderen Förderung Benachteiligter das entsprechende Gewicht beigemessen werden? Das wäre der eigentliche Lackmustest für eine Kooperation von FDP und Grünen. Für solche Programme gibt es im angelsächsischen und übrigens auch im Berliner Raum sehr gute Beispiele.

Der Run in Berlin, schon in der 5. Klasse seine Kinder aufs Gymnasium schicken zu können, entspringt bei vielen Eltern einem Misstrauen. Sie fragen sich, ob der Unterricht in der Grundschule qualitativ gut ist und ob das Gymnasium ihr Kind nicht viel besser fördert. Dieser Wunsch sollte offen debattiert werden – und dazu führen, die Qualität der Schule zu verbessern und das nach außen auch sichtbar zu machen. Es wäre auch für Berlin denkbar, in der 5. Klasse Vergleichsarbeiten anzusetzen. Natürlich muss ein solcher Vergleich den unterschiedlichen soziokulturellen Kontext und die Zusammensetzung der Schülerschaft berücksichtigen. Solche Instrumentarien gibt es aber bereits.

Die Schulreformen müssen von den Zielsetzungen her in Gang gebracht werden. Es wäre ein großer Fehler, wenn die Kontroverse sich auf der Ebene der Etiketten bewegt. Wesentlich ist, die Chance zu nutzen, eine wirklich bildungspolitische Debatte um die Qualität und Leistungsfähigkeit der Schule aus einer solchen Kontroverse entstehen zu lassen. Damit könnten auch bundesweit Impulse wieder von Berlin ausgehen.

Die FDP versucht sich bundesweit als Bildungspartei zu profilieren. Die Grünen haben es auf diesem Feld in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit noch nicht allzu weit gebracht. Die Konkurrenz mit der FDP, der Druck eigene Signale zu setzen, könnte das Geschäft beleben. Es würde die Grünen dazu bringen, den Wunsch nach mehr Selbstbestimmung mit nachhaltiger Bildung zu kombinieren. Das hieße, jedes einzelne Kind besonders zu fördern, egal ob es benachteiligt oder besonders begabt ist. SYBILLE VOLKHOLZ

Die Autorin war grüne Schulsenatorin in Berlin und arbeitet heute für den grünen Think Tank Heinrich-Böll-Stiftung