Bin Laden vor dem Blumenaltar

NEUE FREUNDE: Der erste internationale Terrorist war ein Mexikaner / Von Anne Huffschmid

Vor ein paar Tagen bin ich, nun ja, Ussama Bin Laden begegnet. Und zwar bei den Feiern zum Dia de los Muertos, der mexikanischen Antwort auf Halloween und dem trüb-katholischen Allerseelen.

Während wir wie jedes Jahr die weihrauchgeschwängerten Blumenaltäre mit Küchlein und Tequila bewunderten, wandelnden Kürbiskindern und Miniaturhexen beim Karussellfahren zuschauten, tauchte neben uns ein ungewöhnlich vollbärtiger Mann auf. Die Hände in den olivgrünen Hosentaschen, den Kopf mit dem berühmt gewordenen Turban geschmückt, stand er friedlich im blinkenden Getümmel. Erst als ich die Kamera zückte, reckte er sich in Pose und schaute uns durch die Schlitze seiner Gummimaske keck ins Objektiv. Leises Gelächter, durchaus nicht unfreundlich, ertönt hinter unseren Rücken, als wir weitergehen. Dass wir gar keine Gringos sind, wird der Gute wohl nicht mehr erfahren.

„Wir sind alle Amerikaner“, würden die Mexikaner glatt unterschreiben. Allerdings nicht „gerade jetzt“ aus Gründen der Pietät, sondern seit Urzeiten schon – schließlich liegt auch Mexiko auf dem amerikanischen Kontinent. So wäre Antiamerikanismus im stolzen Mexiko schon per definitionem nicht zu finden. Daher ist hier zu Lande, anders als beispielsweise in großen deutschen Tageszeitungen, auch nicht von „Amerika“ die Rede, wenn es nur um die USA geht – Ausdruck gedankenverlorenen Alleinvertretungsanspruchs.

Umso öfter geht es hingegen um Geschichte. So hatte der Big Brother sich Mitte des 19. Jahrhunderts die Hälfte des mexikanischen Territoriums einverleibt. Das Trauma, auf Gedeih und Verderb zum Little Brother gestempelt zu sein, hält bis heute an. „Geografie ist Schicksal“, pflegen Mexikaner die Zwangsverwandtschaft zu kommentieren.

Wie traumatisiert das Verhältnis ist, zeigt die Reaktion eines besorgten Gemeindevorstehers im mexikanischen Hochland. Schon kurz nach den Attacken hat der Bürgermeister der Ortschaft Apatzingán eine Pressekonferenz einberufen. Er habe in den Nachrichten vernommen, gab der gute Mann den Reportern zu Protokoll, dass „meine politische Führung den islamischen Terrorismus unterstützen soll. Ich möchte klarstellen, dass das total falsch ist.“ Außerdem, so beteuerte er den anwesenden Medienvertretern, „sind wir hier alle guadalupanos“, also Anhänger der Jungfrau von Guadalupe, der Schutzheiligen aller Mexikaner, und nicht etwa des Korans. Schließlich aber trat ein Mitarbeiter diskret an seinen Bürgermeister heran und raunte ihm zu: „Bush hat Afghanistan gesagt, nicht Apatzingán.“

Nicht minder tief wie das Trauma sitzt der ewige Traum, sich beim großen Bruder eines Tages doch noch zu rächen. Erster – und bislang einziger – Racheengel war Francisco „Pancho“ Villa, neben Zapata eine der schillerndsten Figuren der mexikanischen Revolution.

Der legendäre Banditenrevoluzzer hatte es 1916 gewagt, mit ein paar Dutzend Männern das Grenzstädchen Columbus zu besetzen – und zwar auf der US-Seite. Damit sei, wie die Landespresse nicht ohne klammheimlichen Stolz einen gewissen Professor James Laxer zitiert, genau genommen Villa der erste „ausländische Terrorist“ gewesen, der die USA auf ihrem eigenen Grund und Boden angegriffen hatte.

Wie es der Zufall will, planen die Behörden der nördlichen Provinz Chihuahua just dieser Tage, ihrem wagemutigen Landsmann ein kleines Denkmal zu setzen. Selbstredend in Aktion, also zu Pferde und mit der Knarre in der Hand, den Blick gen Norden gerichtet. Die Bürgermeisterin von Columbus reagierte pikiert. Das sei in etwa so pietätlos, empörte sich die Dame, „wie in New York ein Denkmal für Bin Laden aufzustellen“.