Immer in bester Gesellschaft

Vernissage-Erlebnis-Spektakel zum Mitspielen: „Kaodashi“ im Westwerk  ■ Von Barbara Schulz

„Gute Unterhaltung besteht nicht darin, dass man selbst etwas Gescheites sagt, sondern dass man etwas Dummes anzuhören vermag.“ Das wusste schon Wilhelm Busch und das ist auch eins der von den SchauspielerInnen zitierten geflügelten Worte, die einem nach Kaodashiin bester Gesellschaft, jetzt zu sehen im Westwerk, im Hirn haften bleiben.

Die Situation, die die Regisseurin Elisabeth Moll gemeinsam mit der Autorin Angela Delissen und der Dramaturgin Claudia Lohmann verarbeitet hat, kennt jeder: Man steht auf einer Vernissage herum, nippt am Sekt, labt sich, wenn vorhanden, an Häppchen, kramt sein Kenner-Gesicht hervor und schaut dabei statt auf die Kunst doch lieber auf die anderen Anwesenden. Dabei versucht man, seine (auch geschäftlichen) Verbindungen zu pflegen, eventuell neue zu knüpfen und Spaß zu haben. Dazu gehört natürlich auch eine gute Portion Smalltalk. Der alles beherrschende Gedanke dabei ist: Wie wirke ich auf andere?

Kaodashi, das japanische Synonym für „sein Gesicht zeigen“ oder „mal eben vorbeischauen“ geht im mit großen weißen Wänden und einer Klanginstallation wirkungsvoll verkleideten Westwerk (Carsten Heppke) noch einen Schritt weiter: Hier geht es darum, wie wichtig man sein kann. Sieben Schauspielerinnen und fünf Schauspieler, allesamt sehr attraktiv (unterstrichen durch die Kostüme von Katie Lloyd-Hughes und Tina Klietz) verkörpern die Rollen von KunstarbeiterInnen sämtlicher Genres. Da gibt es unter anderem die Galeristin, den Kunstförderer, den Schriftsteller, den Schauspieler und natürlich den ausstellenden Künstler (samt Muse), der sich als Dreh- und Angelpunkt der Handlungen geriert. Nicht zu vergessen auch die drei Servicekräfte, die sich nicht nur um das leibliche Wohl der Gäste kümmern.

Das Außergewöhnliche an dieser Inszenierung ist, dass das Publikum und die SchauspielerInnen sich gemeinsam durch den Raum bewegen und das Publikum somit zur direkten Projektionsfläche wird. Während des Spiels wird man mehrmals mit Informationen zu den KünstlerInnen beliefert, sei es, dass eine Servicekraft einem pikante Informationen zuraunt (“Die Galeristin hat ein Eheproblem!“), sei es, dass einen die SchauspielerInnen selbst ansprechen, einem Fragen stellen oder auch mal ein Kompliment fallen lassen (mehr wird nicht verraten) und man als ZuschauerIn nach anfänglicher Scheu gern zum zeitweiligen Mitspieler wird.

„Die große Ferne, die sonst zwischen Zuschauern und Schauspielern herrscht, wird einfach aufgehoben. Ich will in den Texten etwas zum Sprechen bringen, was man sonst nicht so direkt sagen würde“, meint Angela Delissen dazu. Ihre Texte sind angenehm klar und wenig klischeebeladen, und man merkt, dass sie die Sprache der Leute, die Vernissagen besuchen, ganz genau belauscht hat, um daraus ein Text-Patchwork anzufertigen. Daraus wurde in Gemeinschaftsarbeit ein Erlebnis-Theaterstück, wozu die Regisseurin Moll anmerkt: „Es ist nicht nur ein großflächiger Theaterabend, der fast identisch ist mit einer Vernissagesituation, sondern es ist schon auch Theater; es ist etwas sehr Geformtes darin. Durch das Immer-Weiter-Denken und -Sortieren (auch die SchauspielerInnen haben nochmal sortiert) wurde das Ganze immer sauberer und immer mehr Ballast rausgekehrt.“

Für die ZuschauerInnen ist diese Inszenierung ein echtes Erlebnis: Man kann eingreifen, wenn man will. Man kann sich unterhalten und hin- und herlaufen. Oder man steht in einer Ecke und frönt seinem Voyeurismus, den man in unseren Breitengraden sowieso viel zu selten ausleben darf. Dazu die Regisseurin: „Leider ist dieser offene Blick, jemanden beobachten zu dürfen, in Deutschland nicht üblich. Das ist in Italien ganz anders. Da inszenieren sich die Menschen in aller Öffentlichkeit, und man darf ganz offen hinschauen.“ Dieses speziell fürs Westwerk konzipierte Stück wird sechs Mal gespielt und ist eine komplette Off-Produktion ohne finanzielle Förderung. Vielleicht findet sich ja bald eine Galerie oder ein Theaterfoyer, wo Kaodashi weiter gespielt werden kann, damit die Kunst nicht brotlos bleiben muss ...

Premiere 15.11., 20.30 Uhr, Westwerk (danach Scratch your make-up mit Die Patinnen Teil II & Der Vinylizer

weitere Vorstellungen: 16., 17., 22., 23., 24.11., jeweils 20.30 Uhr. Am 24.11. im Anschluss Inchspekt your make-up mit den Inchspektoren (DJs Drop-Out, Lefthand & Der Vinylizer)