Drohen und locken

Wie Kanzler Schröder und Fraktionschef Struck versuchen, die Reihen der Koalition zu schließen

„Heilsamer Schock für viele Mitglieder der Grünen-Fraktion“

von SEVERIN WEILAND

Für Peter Struck war die Ausgangslage klar. Wird die Kanzlermehrheit von 334 Stimmen bei der morgigen Vertrauensabstimmung nicht erreicht, dann „ist diese Koalition beendet“. Und einem vorzeitigen Ende des Bündnisses, das machte der SPD-Fraktionschef gestern klar, werde keine Neuauflage von Rot-Grün folgen. „Das widerspricht eigentlich der menschlichen Logik.“

Der Tag nach der Ankündigung Gerhard Schröders stand gestern ganz unter dem Motto „Druck machen, solange Abgeordnete noch zaudern“. Der SPD-Fraktionschef selbst konzentrierte sich dabei auf den Koalitionspartner. Es dürfe nur „sehr wenige Gegenstimmen“ geben, sagte Struck – und eröffnete den Grünen damit indirekt die Möglichkeit, wenigstens eine symbolische Zahl von Kritikern zuzulassen. Wie viele Neinstimmen es sein dürfen, das ließ Struck wohlweislich offen. Doch bei 341 Abgeordneten von SPD und Grünen dürfen nicht mehr als 7 Abgeordnete die Gefolgschaft verweigern.

Von Gegnern in seinen eigenen Reihen – von zwei weiblichen Abgeordneten ist die Rede – wollte Struck nichts wissen. Zumindest tat er so, als sei seine eigene Fraktion 48 Stunden vor der Sitzung auf Kurs gebracht. Am Abend zitierte die Stuttgarter Zeitung aber die SPD-Abgeordnete Christa Lörcher mit den Worten, sie werde mit Nein stimmen. Prekär wird die Lage, sollten SPD-Abgeordnete einen Mandatsverzicht vor der Abstimmung erwägen – vier sollen dies überlegen. Niedergelegte Mandate könnten über Landeslisten aufgefüllt werden – sofern es keine Überhangmandate sind. So viel war jedoch gestern sicher: Eine Reihe von skeptischen Befürwortern des Einsatzes wollen zusätzlich persönliche Erklärungen zum Einsatz der USA abgeben. In der Rechnung der SPD-Führung gilt das Verhalten der grünen Abgeordneten als die eigentliche Unbekannte – wenn auch die Bemühungen der grünen Fraktionsführung anerkannt werden, die Kritiker umzustimmen. Doch was passiert, wenn sich am Ende der Grünen-Parteitag verweigert? Die Entscheidung werde im Parlament gefällt, so Struck. Es liege dann an der grünen Fraktionsführung, ein negatives Ergebnis des Parteitags „zu bewerten“. Dass die Delegierten dort anders entscheiden könnten, gilt in den Augen der SPD-Führung jedoch als unwahrscheinlich.

Auch von höchster Stelle wurden die Kritiker gestern an ihre Verantwortung erinnert. Bundespräsident Johannes Rau (SPD) forderte sie zur Zustimmung auf. Als Signal an die Skeptiker ließ sich gestern ebenso die Pressekonferenz von Außenminister Joschka Fischer und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) deuten. Beide strichen den deutschen Beitrag zur politischen und humanitären Hilfe für Afghanistan heraus.

Bei der „parlamentarischen Linken“ der SPD hat die Aussicht auf einen Koalitionswechsel Wirkung gezeitigt. Schon vor einer Woche hatten deren Wortführer die Skeptiker behutsam eingefangen und dem Kanzler Zustimmung zum Militärbeitrag signalisiert. Dies gilt nun auch in der Vertrauensfrage. Man werde „geschlossen“ abstimmen, sagte der Sprecher der Linken, Michael Müller.

Intern hieß es, die SPD-Linke beurteile die Machtfrage eben anders als manche Grünen. Ihre Vertreter seien bereit, Bedenken notfalls langfristigen Überlegungen unterzuordnen, sagte ein Mitglied. Manche schaudert es bei der Vorstellung, demnächst Arbeits- oder gar Außenpolitik mit der FDP zu machen. „Können Sie sich vorstellen, dass Guido Westerwellle Außenminister ist?“, fragt ein Mitglied der Fraktionslinken. „Ich kann es – es wird schrecklich.“

Dass Schröder sich zum Äußersten gezwungen sah, zeichnete sich offenbar erst am Sonntagabend bei seinem Treffen mit der Parteilinken ab. Dort sprach er das Thema Vertrauensfrage an. Eine Stunde zuvor hatte Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch noch mit Schröder telefoniert. Von der Verknüpfung des Militärantrags mit der Vetrauensfrage war zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede.

Aus Strucks gestrigen Bemerkungen wurde deutlich, dass den Kanzler nicht nur die Erklärung der acht grünen Einsatzgegner vom Sonntag nachdenklich machte, sondern auch die Debatte über zusätzliche Grünen-Gegenstimmen. Dies und die außenpolitischen Aspekte hätten ihn „bestärkt“, dem Kanzler zu einem „klaren Vertrauensvotum“ zu raten. Sollte die Abstimmung erfolgreich sein, könne die Koalition innenpolitisch weiterarbeiten, so Struck. Er gehe davon aus, dass die Vertrauensfrage dann „auch ein heilsamer Schock für viele Mitglieder der Grünen-Fraktion gewesen ist“.