Hier trinkt man den Absinth

Warum war dieser berühmt-berüchtigte Schnaps so populär? Auf der Suche nach Picassos Rauschmittel in Barcelona. Eine Reise durch die Bars des „Barrio chino“, wo Nordafrikaner, Inder und Pakistani wohnen

Barcelona war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Stadt der Künstler. Neben Katalanen wie Antoni Gaudí, Salvador Dalí und Joan Miró lebte hier auch der Andalusier Pablo Picasso. Es war die Zeit der Cafés, die sich heute, soweit sie noch existieren, mit ihrer berühmten Kundschaft von damals schmücken. Und es war auch die Zeit des Absinths, eines alkoholischen Kräuterextrakts, der aus dem Paris der Bohemiens, Cabarets und kleinen Tanztheater kam und sich auch bei den Intellektuellen und Künstlern in Barcelona großer Beliebtheit erfreute.

Doch was war es, was diesen berühmt-berüchtigten Schnaps so populär machte? Absinth besteht hauptsächlich aus Wermut. Die Pflanze, ein zirka ein Meter großer, aromatisch duftender Halbstrauch, enthält das ätherische Öl Thujon. Schon lange war sie wegen ihrer Heilkraft besonders bei Magenbeschwerden bekannt, aber erst mit der industriellen Herstellung durch Henri-Louis Pernod fand der Wermut Einzug in die Cafés und Bars der damaligen Zeit. Aus diesen wurde er jedoch später wieder verbannt und zwar aus demselben Grund, der ihn so beliebt machte: Die Substanz Thujon nimmt auf die gleichen Rezeptoren im menschlichen Gehirn Einfluss wie THC, der halluzinogene Wirkstoff von Cannabis. Der originale Absinth wurde als abhängig machendes Rauschmittel über Jahre hinweg verboten. Erst neuere EU-Richtlinien ließen ihn in jüngerer Zeit mit einem geringeren Thujonanteil wieder aufleben.

Wer sich heute in Barcelona auf die Suche nach Absinth macht, sollte sich in den Raval begeben. Das Bild des verruchten Altstadtteils wird von Aussiedlern geprägt, was ihm den Namen „Barrio chino“, „chinesisches Viertel“, einbrachte, obwohl die meisten Bewohner Nordafrikaner, Inder oder Pakistani sind. Der Name lässt aber auch auf Opiumhöhlen schließen, die sich hier befunden haben sollen. Doch seit den Olympischen Spielen hat sich in diesem Viertel Barcelonas einiges verändert, es gibt wenger Drogenabhängige, und es ist ungefährlicher geworden. Prostituierte säumen aber weiterhin einige Straßenzüge, die voll von Lärm und schmierigen Spelunken sind. Hier findet man aber auch einige Kneipen, die bei Einheimischen wie Touristen beliebt sind und zudem Absinth servieren.

Eine von ihnen ist die London Bar, die neben Absinth auch das passende Ambiente bereithält. Die Räumlichkeiten, deren Wände mit Stuck geschmückt sind, sind im Jugendstil gehalten und ziehen sich an der Theke entlang in die Tiefe, wo ein Podest aufgebaut ist. Oft finden hier Konzerte statt. Dann ist der Raum so überfüllt, dass es kaum noch Bewegungsmöglichkeiten für die gleichwohl tanzenden Zuschauer gibt. Die London Bar konzentriert sich auf Veranstaltungen und sieht sich selbst wohl fast eher als Club.

Anders das Pastis. Schon der Name deutet die typische Atmosphäre an, die man zum Absinthtrinken erwartet, und man wird nicht enttäuscht. Platzprobleme können auftreten, denn die Kneipe ist gerade mal so groß, dass sie außer der Theke nur noch Raum für zwei Tische bietet. Dementsprechende Aufmerksamkeit kommt der Toilettentür zu, die sich direkt neben einem zu befinden scheint und bei jedem Öffnen einen unangenehmen Geruch entlässt. Das kleine Zimmer ist überfüllt mit Accessoires, die selbst von der Decke hängen. Alte Fotos, Gemälde, Andenken und alles, was an eine andere Zeit erinnert. Zudem finden noch zweimal die Woche Konzerte statt, obwohl die Musiker selbst kaum genügend Platz haben. Entweder werden französische Chansons gesungen, oder es wird argentinischer Tango gespielt.

Derartige Platzprobleme kennt die Bar Marsella, benannt nach der französischen Hafenstadt Marseille und eine der ältesten Kneipen der Stadt, nicht. Flaschen und teilweise zersprungene Spiegel zieren die mit Spinnweben überzogenen Wände, die nicht nur das Alter der Bar unterstreichen, sondern auch andeuten, dass die Lokalität nur eine Tätigkeit akzeptiert: Absinth trinken wird hier zum Programm. Neben Bier sieht man nur die Hausmarke auf den Tischen stehen, zusammen mit einer kleinen Flasche stillem Mineralwasser zum Verdünnen und um die milchige Farbe zu erzielen. Auf den Gläsern liegt eine Kuchengabel mit einem Stück Würfelzucker. Viele kleine Feuerzangenbowlen auf den Tischen, die ihre Spuren hinterlassen. Auch auf den Toiletten. Wer fühlt sich in einem solchen Milieu nicht wie in einer anderen Welt? Und wenn nicht dank der Umgebung, dann doch durch den Absinth. CHRISTIAN KUTTLER

Hinweis: In Berlin kann man Absinth aus Katalonien im 1. Absinthdepot in der Weinmeisterstraße 4 erhalten.