Die SPD stimmt mit den Füßen ab

Als der FDP-Fraktionschef spricht, verlassen viele das Plenum. Deutlich wird, dass die SPD den Kanzler zwar stützt, eine rot-gelbe Koalition aber nicht will

von SEVERIN WEILAND

Vielleicht ist das auch eine Zeichen. Wolfgang Gerhardt hebt zu seiner Rede an, und viele sozialdemokratische Abgeordnete verlassen den Plenarsaal. Stummer Protest gegen eine Aussicht, vor der sich manche fürchten – in absehbarer Zeit den FDP-Fraktionschef einen Koalitionspartner nennen zu müssen. Als wollten die SPD-Abgeordneten ihrem Kanzler beweisen, für wen ihr Herz schlägt, folgt wenig später frenetischer Applaus für Joschka Fischer. Diese Koalition, ruft der Außenminister ihnen zu, „hat entscheidend diese Republik erneuert“. Da will das Klatschen nicht mehr enden – Fischer hat die Sozialdemokraten erreicht, stärker als Schröder zuvor.

Der Kanzler hat geschmunzelt, später, als Fischer neben ihm Platz genommen hat, sogar gestrahlt. Doch Politik ist eben keine Liebesbeziehung und verbindende Augenblicke sind schnell wieder abgeflaut. Auf den Fluren des Reichstags fällt Frank Hofmann, dem SPD-Obmann im CDU-Spendenuntersuchungsausschuss, zur Zukunft nur eine nüchterne Zustandsbeschreibung ein: „Unsere Zusammenarbeit ist ordentlich.“ Dann, nach einer Pause, fügt er hinzu: „Sie ist natürlich mehr als eine Geschäftsbeziehung.“ Das klingt alles andere als hoffnungsvoll. Hofmann hat die Verknüpfung von Vertrauensfrage und Entscheidung des Militäreinsatzes befürwortet. Ob der Kanzler damit Vertrauen gewonnen habe? „Die Maßnahme war richtig“, sagt Hofmann. Für ihn heißt es jetzt: „Die Hürde nehmen wir – und dann ist gut.“

Doch gut ist noch lange nichts –wirft man einem Blick auf die Protokollerklärungen der SPD-Skeptiker, die sich unter dem Druck der Ereignisse doch noch zu einem Ja entschlossen haben. Der SPD-Abgeordnete Rüdiger Veit spricht in seiner Erklärung im Namen von 15 weiteren SPD- Abgeordneten von einem „Konflikt, den wir nicht gewollt haben, der uns aufgezwungen wurde“. Der Kanzler ist gemeint, und damit wird klar, wie hoch Gerhard Schröder gepokert hat, als er am Montagabend der Linken erstmals die Vertrauensfrage in Aussicht stellte. Es waren eben nicht nur die Grünen, die Schröder zur Räson bringen wollte.

Andrea Nahles ist es, die im Plenum für die Gruppe der Parlamentarischen Linken den früheren SPD-Vorsitzenden Willy Brandt mit den Worten zitiert, eine „Kultur des Zweifels“ müsse erlaubt und erhalten werden. Das ist, so viel wird deutlich, in die Zukunft gerichtet. Nahles, die mit rund 40 anderen Linken dem Kanzler das Vertrauen ausgesprochen hat, spricht vom „rot-grünen Projekt“ – ein Wort, das seit langem nur noch wenige in der Koalition in den Mund nehmen. Dies gelte es fortzusetzen, sagt sie, und erhält Applaus.

Der Abend vor der Abstimmung hatte der SPD-Fraktion nochmals verdeutlicht, wie strittig auch in ihren Reihen die Bereitstellung der Bundeswehr im Anti-Terror-Kampf ist. Am Abend war klar, dass die Abgeordnete Christa Lörcher aus der Fraktion austritt – ein Schritt, mit dem die Fraktionsführung aufgrund der pazifistischen Haltung der 60-Jährigen rechnen musste. Lörcher war sogar ein Gespräch mit dem Kanzler angeboten worden – sie hatte abgelehnt.

Fraktionsvize Gernot Erler sprach von „fast verzweifelten Bemühungen“, Lörcher umzustimmen. Am Ende sei man stets beim dem Satz angelangt: „Ich kann nicht.“ Davon, den „Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen“, mahnte Erler am Donnerstagabend. Von Bedauern und Respekt sprach im Bundestag Fraktionschef Peter Struck.

Die zurückhaltende Kommentierung fußt auf Rücksichtnahme: In der jetzigen Atmosphäre würden verbale Ruppigkeiten nach außen unangenehme Erinnerungen an Methoden eines Herbert Wehner hervorrufen. Schon Gerhard Schröder hatte manche für einen Augenblick befremdet, als er in der Fraktionssitzung am Donnerstagabend das V-Zeichen für Victory machte. Das, sagte ein Abgeordneter des linken Flügels am Freitag im Bundestag, „hätte er sich sparen können“. Es gebe einen Grad an Demütigung, den man nicht überschreiten sollte.