Der Freund aller Soldaten

Die Jungs von der Bundeswehr stehen auf Britney Spears. Gunter Gabriel kennen sie nicht. Doch das kann man ja ändern

von ANJA BAUM
und ANDRÉ MEIER

Horst Himml weiß, was sich gehört. Torgelow in Vorpommern, das habe er dem Star ausdrücklich gesagt, bestätigt der Chef des Soldatenheims, als eine ältere Dame vom Lokalsender Uecker-Randow-TV zu murren anfängt. Es sei nicht das erste Mal, dass Gäste auf dem Weg in den östlichsten Zipfel Deutschlands die Orientierung verlören.

Seit drei Stunden sitzt eine Hand voll Provinzjournalisten im Restauranttrakt des Hauses unter einer riesigen Plastikeiche, trinkt Cappuccino und wartet. Immerhin, den Kaffee bezahlt die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung (EAS), ebenso wie Herrn Himml.

Seit einem Jahr leitet der Mann das einzige Soldatenheim in den neuen Bundesländern. Vorher saß er in der EAS-Zentrale in Bonn. „Da ging es vor allem um Fleisch.“

Jetzt geht es um Gunter Gabriel, aber dazu fällt Himml nicht viel ein. Gut 100 Karten sind verkauft, 6 Mark das Stück. Der Hamburger Countrysänger ist auf Kasernentournee und hat auf einen Teil seiner Gage verzichtet. Nächste Woche kommt die Modern-Talking-Double-Show, da wird es wieder teurer und vielleicht auch voller.

Leutnant Franzkowiak gesteht: „Von unseren Rekruten kennt den kaum einer. Die dachten, der käme von der SPD.“ Der Presseoffizier ist aus der benachbarten Kaserne des Panzergrenadierbataillons 411 herbeigeeilt, um Himml „bei der Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen“.

Nun, wo klar ist, dass es um Musik geht, hofft Franzkowiak, dass wenigstens ein paar seiner Soldaten kommen. Nötig hätten sie es. Hat doch das aktuelle Liedbuch aus dem Jahr 1991, wie eine Forschungsgruppe der Ruhr-Universität Bochum herausgefunden hat, erhebliche Schwächen: „Durch die kulturelle Sozialisation der jüngeren Soldatengenerationen ergibt sich ein Wandel der Einstellung gegenüber traditionellem Liedgut.“

Ob Gabriel der kulturellen Sozialisation der Torgelower Wehrdienstleistenden entspricht, ist allerdings auch fraglich. Aber er gibt sich alle Mühe. Auf dem Plakat, das seinen Auftritt ankündigt, trägt er eine Bundeswehrtarnuniform. Seine Gitarre ist schwarzrotgold angestrichen, ein Totenkopfaufkleber warnt in kyrillischen Lettern „Minen!“. In der Pressemappe liegt Gabriels eigenhändig in die Maschine getipptes Bekenntnis: „Ich bin ein Freund aller Soldaten!“

Das hätte er auch gern in die Kamera gesagt, doch als er endlich in Torgelow aufschlägt, ist der Gratiskaffee längst ausgetrunken und das frustrierte TV-Team abgezogen. Gabriel lässt sich im Jogginganzug im „Englischen Zimmer“ des Soldatenheims nieder. Bei Apfelsaft und Malboro redet er über den „geilen Wüstenauftritt“ des britischen Popstars Geri Halliwell und die Pionierarbeit, die er für eine Wiedergeburt der seit 1945 daniederliegenden deutschen Truppenbetreuung leistet. „Die Barriere zwischen Volk und Soldaten muss eingerissen werden. Jetzt haben wir die Chance dazu, das habe ich neulich auch Scharping gesagt.“

Gabriel ist jetzt 59. In den Siebzigern war er relativ groß und durfte mit Proletkultsongs wie „Hey Boss, ich brauch mehr Geld!“, „Komm unter meine Decke“, „30-Tonner-Diesel“, „Er ist ein Kerl“ usw. regelmäßig bei Dieter Thomas Heck singen.

Vor einem Jahr tourte Gabriel durch die Bundeswehrfeldlager im Kosovo. Ohne Gage, wie er betont. Seither ist er „neidisch“. Er, dessen Wehrdienst durch eine leidige Knieverletzung verhindert wurde, sah plötzlich, was ihm alles entgangen war: „Dieses Gemeinschaftsleben, dieses ‚Einer für alle, alle für einen‘ und dieses Mannsein-Gefühl.“

Obwohl seine einstmals blonde Truckerfahrerfrisur längst grau und schütter geworden ist, wollte er einfach dazugehören. So wie damals, als in allen deutschen Lastwagenfahrerkojen seine immer gleichen Sechs-Tage-auf’m-Bock-ein-Tag-auf-der-Alten-Songs dröhnten. Deshalb, so erzählt er, hat er seinen „KFOR-Song“ geschrieben. Damals in Prizren, „eine Stunde vor dem ersten Auftritt, auf dem Feldbett sitzend, mit ausgetrocknetem Filzstift auf einem ausgedienten Kartondeckel“. Als Vorlage diente ihm „House of the Rising Sun“. Bei Gabriel läuft der Animals-Klassiker unter „Es steht ein Haus im Kosovo“, und stolz erzählt er, wie 2.000 Uniformierte im Chor seinen „hammerharten Soldatensong“ begeistert mitgrölten.

In Torgelow ist von den Jungs aus Germany gerade mal ein halbes Dutzend im Saal, der Rest des Publikums rekrutiert sich aus Zivilisten. Aber auch darauf ist Gabriel eingestellt. Statt in Uniform singt er in Jeans und Leopardenhemd und grüßt mit belegter Stimme in die Ferne. „Nach Afghanistan oder ins Kosovo, wo unsere Soldaten jetzt für uns stehen.“

10 nackte Friseusen

Die wenigen Bundeswehrangehörigen, die das Konzert aus ihren Kasernen gelockt hat, kennen Gabriel vom Balkan. Sechs Monate waren sie dort, und Stabsunteroffizier Weniger erklärt, warum sie einen ihnen völlig unbekannten singenden alten Mann so frenetisch feierten. „Manche von uns hatten schon einen Lagerkoller. 180 Tage ohne Ausgang, da kam uns jede Ablenkung recht.“ Zwar hätten die Kameraden lieber Britney Spears gesehen, schiebt er nach, aber „Gabriel war wenigsten für uns, die einfachen Soldaten, da, anders als Scharping oder die Politiker, die sich da die Klinke in die Hand gaben.“ Und musikalisch, so der Unteroffizier, seien sie nicht so anspruchsvoll. „Gesungen wird vor allem beim Saufen und dann solche Sachen wie „Geh doch zu Hause, du alte Scheiße“ oder „10 nackte Friseusen“.

Zugegeben, gegen solche Zoten klingt Gabriels KFOR-Klagegesang ambitioniert: „. . . nur nachts, da ham sie Zeit zum Träumen / von zu Haus und ihrer schönen Frau, / und ob sie ihm auch treu geblieben ist, / das wissen sie nie so ganz genau.“

Natürlich weiß Gabriel, dass er nur der Einäugige unter den Blinden ist. „Seit Freddys ‚Hundert Mann und ein Befehl‘ hat doch keiner mehr was für die Jungs geschrieben.“ Aber er ist sich sicher, dass nach dem 11. September „auch in dieser Hinsicht ein Umdenken stattfinden wird“. Schon haben Kollegen bei ihm angeklopft und sich nach seinen Erfahrungen bei der Truppe erkundigt.

„Na klar, hab ich zu Jürgen gesagt, geh da hin! Du bist Entertainer!“, erzählt Gabriel und fährt breit grinsend fort, dass er dem Kollegen Drews auch empfohlen hat, „seine Olle mitzunehmen“.

Damit sie die Jungs ein bisschen aufheizen könne, so wie dieses Spice-Girl mit ihrem Union-Jack-BH. Nicht nur im Kosovo. Gabriel jedenfalls, würde – wenn man ihn riefe – sofort nach Afghanistan gehen. Doch die Soldaten, die sich nachdenklich an ihrem Bier festhalten, während der selbst ernannte „Frontmann“ den alten Pete-Seeger-Song „Sag mir, wo die Blumen sind“ anstimmt, sind von diesem Reiseziel nicht gerade begeistert. Daran ändert auch die Aussicht auf Ramona Drews’ schwarzrotgold gestreiften Busen nichts.

„Mulmig“, so ein Unteroffizier, sei ihm schon, bei dem Gedanken, dass es irgendwann auch ihn treffen könnte. Und ein anderer spricht von „der Angst, jetzt in Afghanistan wirklich draufzugehen“. Gunter Gabriel, der Freund der Soldaten, singt derweil unverdrossen weiter: „. . . über Gräber weht der Wind, wann wird man je verstehen, wann wird man je verstehen?“