Therapeutin für die grüne Seele

Vor dem Parteitag tingelt die Vorsitzende Claudia Roth durch die Landesverbände. In Rheinland-Pfalz konnte sie den Zorn der Kriegsgegner besänftigen

aus Kaiserslautern KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Die grüne Basis hat die Wut gepackt. Wut auf den Kanzler, der die Abstimmung über den Einsatz deutscher Soldaten mit der Vertrauensfrage verknüpft hatte. Wut auf die grünen Regierungsmitglieder, die das amerikanische Vorgehen in Afghanisten unterstützen. Und Wut auch auf die grünen Bundestagsabgeordneten, die für die deutsche Beteiligung die Hand hoben. „Das Maß ist voll“, wettert der 58-jährige Pfarrer Michael Henke, der sich um den Posten des Landesvorstandssprechers in Rheinland-Pfalz bewirbt. Gerhard Schröder habe den Grünen „das Rückgrat gebrochen“. Deshalb, sagt Henke, werde er auf dem Rostocker Bundesparteitag am kommenden Wochenende gegen die Koalition stimmen.

Der Beifall der 140 Delegierten ist dem Theologen in Kaiserslautern sicher, auf dem ersten Landesparteitag der Grünen nach der Vertrauensfrage im Bundestag. Zunächst bricht sich im Tagungshotel „Neue Eintracht“ eine Art fundamentalistische Besoffenheit Bahn – die Sehnsucht nach der heilen grünen Welt in einem Landesverband, dessen Geschichte eng verknüpft ist mit dem Protest gegen die einst zahlreichen Militärbasen in der strukturschwachen Region.

Viel Applaus gibt es auch für einen Delegierten aus dem Westerwald, der den Ausstieg aus dem Berliner Regierungsbündnis mit der SPD fordert. In der Opposition brauche man die „Schweinereien“ der anderen nicht mitzumachen und sein Gewissen damit zu belasten. In einem Antrag des Kreisverbands Kaiserslautern ist gar von einem „Angriffskrieg der Nato“ in Afghanistan die Rede.

Doch dann kommt die Überraschung auf diesem Parteitag: Zum Vorstandssprecher wählen die Delegierten nicht den Koalitionsgegner Henke – sondern den 43-Jährigen Manfred Seibel, der sich als einziger Kandidat ausdrücklich für den Verbleib in der Bundesregierung ausspricht. Sein Appell, auch „an übermorgen“ zu denken und wegen der „großen Erfolge auf anderen Politikfeldern“ an der Koalition festzuhalten, war zuvor nur mit nur spärlichem Beifall bedacht worden. Jetzt bekommt er 89 Stimmen, Henke muss sich mit 53 Stimmen begnügen. Als zweite Vorstandssprecherin wurde die Journalistin Tabea Rössner gewählt. Sie hat nach eigenem Bekunden „in der Koalitionsfrage noch keine Position“, lehnt aber den Militäreinsatz ab.

Die Stimmungswende eingeleitet hatte die grüne Bundeschefin Claudia Roth. In ihrer Rede machte sie am Samstag aus der Not ein Tugend und erklärte, die unterschiedlichen Auffassungen in „dieser wunderbar anstrengenden Partei“ machten die Grünen nicht schwächer, sondern stärker. Die offene Diskussion, das „Ringen um den richtigen Weg“, zeichne die Grünen vor allen anderen Parteien aus. Mit dem Kanzler dagegen ging Roth hart ins Gericht. Es sei kein Zeichen von Stärke gewesen, dass Schröder die Abstimmung über den Kriegseinsatz mit der Vertrauensfrage verknüpft hatte.

Für ihre Rede bekam Roth minutenlangen Applaus. Vergessen war der Beginn des Parteitags, als Außenminister Joschka Fischer auf einem Plakat der „Kriegsverbrechen“ bezichtigt wurde. Jetzt schwiegen die Koalitionskritiker, und ihre Anträge wurden danach alle abgelehnt. Claudia Roth, die Geheimwaffe der Bundespartei für den Nahkampf an der Basis, dürfte auch am nächsten Wochenende in Rostock wieder als Stimmungskanone zum Einsatz kommen.

Am Sonntag war die Parteichefin in Nordrhein-Westfalen, um den größten Landesverband für die Linie der Bundesspitze zu gewinnen. Auch dort zeichnete sich gestern eine Mehrheit für den Verbleib in der Koalition ab. Gemeinsam mit der Berliner Fraktionschefin Kerstin Müller und der nordrhein-westfälischen Umweltministerin Bärbel Höhn warb Roth bei einem informellen Treffen in Duisburg für diese Linie. Nach Angaben von Ohrenzeugen gab es bei den Reden zwar Zwischenrufe wie „Kriegstreiber“, doch habe sich die Kritik am Afghanistan-Beschluss auf „die üblichen Verdächtigen“ beschränkt. Funktionsträger hätten sich nicht in diesem Sinn geäußert.