Schwierige Suche nach Symbolik

Das Bedürfnis nach einem Mahnmal für die Opfer des World-Trade-Center-Attentats ist unstrittig – nun geht es um die Frage, wie es aussehen soll

Hans Butzer, Architekt des Oklahoma-City-Mahnmals: „Der Diskussionsprozess war selbst der wichtigste Akt des Trauerns.“

aus New York HENRIKE THOMSEN

An einer Telefonzelle auf dem Broadway klebt ein Gedicht von Walt Whitman. Übersetzt sagt es in etwa: Wenn du mich vermisst, dann sieh auf die Erde zu deinen Füßen: dort werde ich immer sein. An den Polizeiabsperrungen ringsum, von denen man auf die Trümmer sehen kann, hängen Transparente mit Fotos und Namen der Opfer. Sie sind überschichtet wie Votivwände in einer christlichen Kapelle.

Viele Wochen nach den Attentaten zeigt die Fülle der kleinen Gesten rund um das frühere World Trade Center, wie elementar das Bedürfnis nach einem Denkmal ist. Auch in der Politik herrscht darüber Einigkeit – und zwar von der Präsidentin des Manhattan Borough (etwa vergleichbar mit einem Berliner Bezirksbürgermeister) bis zu Senatorin Hillary Rodham Clinton.

Der neue Bürgermeister Michael Bloomberg verteidigte im Wahlkampf sogar gegenüber Immobilienhändlern und Bauherren, dass man auf die Bevölkerung beim Wiederaufbau des Geschäftsbezirks Lower Manhattan Rücksicht nehmen müsse. Doch die Debatte hat gerade erst begonnen, wie so ein Denkmal letztlich aussehen könnte, um zwischen den so diversen kulturellen und sozialen Hintergründen der New Yorker vermitteln zu können.

Ein häufig zitiertes Vorbild ist das Mahnmal von Oklahoma City, das an die Opfer des Bombenanschlags von 1995 erinnert. Sein Architekt Hans Butzer wurde von verschiedenen einflussreichen New Yorker Lobbygruppen als Berater berufen. Doch für Butzer spielt die Architektur „vielleicht gar nicht die entscheidende Rolle. Der Diskussionsprozess war selbst der wichtigste Akt des Trauerns und der Erinnerung.“

In Oklahoma hatte der Gouverneur eine Kommission eingesetzt, der jeder seine Wünsche vortragen konnte. Dann schrieb man einen internationalen Architekturwettbewerb aus, der einem gemeinsamen definierten Leitsatz unterstellt war: „Wir wollen an die erinnern, die starben, die überlebten und die auf immer verändert wurden.“

Butzer (35) hat auch einige Jahre in Berlin gelebte und dort Sozialwohnungen entworfen. Sein Entwurf setzte sich vor allem deshalb durch, so meint er selbst, weil er den Besuchern ermöglicht, eine persönliche Beziehung zu dem Ort zu entwickeln.

„Sie betreten das Gelände durch zwei hohe Tore und blicken auf ein lang gestrecktes, mit schwarzem Granit gesäumtes Wasserbassin“ erzählt er. „Dahinter befindet sich ein Rasen mit 168 Stühlen, für jedes Opfer einen. Die Stühle sind aus Glas und Bronze. Sie haben die Qualität von Skulpturen und tragen die Namen der Toten unten am Fuß eingraviert. Zusammen mit dem Wasserbassin sorgen sie für eine eher helle, transparente Stimmung. Es ist kein düsterer Ort, obwohl wir einen Teil des ausgebombten Gebäudes stehen ließen und die Ruinen in die Gedenkstätte integriert haben.“

In den kollabierenden Twin Towers kamen mindestens dreißigmal so viele Menschen ums Leben. Dennoch spricht einiges dafür, dass die Namen aller Opfer in der künftigen Gedenkstätte auftauchen könnten, wie es auch im Vietnam Memorial von Washington der Fall ist.

Manhattan Borough President Virginia Fields denkt an eine Krypta mit Namenswänden, die unter dem neu bebauten Gelände geschaffen werden könnte. Die Bildhauerin Louise Bourgeois entwarf in einer Skizze für die New York Times eine Stele, in der sämtliche Namen vertikal von Hand eingraviert stünden. An der Spitze der Stele befände sich ein Stern, nicht jedoch genau in der Mitte, sondern zur Seite geneigt als Symbol der Hoffnung (aufgehender Stern) oder als Erinnerung an den Sturz ins Nichts.

Auch Peter Eisenman, der Architekt des Berliner Holocaust-Mahnmals, wird sich in den kommenden Wochen über die Wiederbebauung des World Trade Centers Gedanken machen. Er folgte, wie unter anderem auch Zaha Hadid und Hans Hollein, der Einladung eines Galeristen, der im Januar eine Ausstellung mit unabhängigen Architekturentwürfen präsentieren wird.

Dennoch ist Eisenman mit seinen Vorschlägen vorsichtig. „Europäer haben gewisse Erfahrungen mit dieser Sorte von Katastrophen. Wir Amerikaner aber haben seit dem Bürgerkrieg vor 150 Jahren nichts Vergleichbares erlebt“, sagt er. „Früher fanden solche Dinge in Namibia, in Bosnien oder sonst wo statt. Heute blicken meine eigenen Kinder auf die Ruinen in Lower Manhattan“.

„Was immer wir an der Stelle des ehemaligen World Trade Centers errichten wollen, wir müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass die Erinnerung bereits in den Bildern liegt, die wir alle gesehen haben. Man kann das als Architekt nicht übertreffen“, sagt Eisenman, für den Architektur am Ende immer „eine Frage von Denkmälern oder Gräbern“ ist.

Möglicherweise, glaubt er, wäre ein großer Versammlungsort wie der Pariser Platz eine gute Lösung. Doch Eisenman weiß, dass diese Idee unrealistisch ist. Das Bedürfnis, die Millionen Quadratmeter verlorener Bürofläche wiederherzustellen, ist für die Geschäftsstadt New York nicht weniger elementar als das Bedürfnis nach einer Gedenkstätte. Das Denkmal wird sich in jedem Fall mit irgendeiner Form von kommerziell genutztem Gebäude arrangieren müssen. Wenn es sich nicht schmal machen muss, ist bereits viel gewonnen.