Mit Stoffen Emotionen wecken

■ 70 Quadratmeter Tüll verwandeln Julia in eine rot schillernde Echse. Morgen wird sie darin ihren Romeo verzaubern und in den sicheren Tod ziehen

Das Bühnenbild von „Romeo & Julia“, die morgen erstmals in der bremer shakespeare company Premiere haben, scheint ein Tribut an die Gewandmeisterei und „Kos-tümdesignabteilung“ des Theaters zu sein.

Zumindest wird der Eindruck vermittelt, man blicke in einen Kleider- und Kostümfundus: Rollbare „Kleiderbügelhalterstangen“ dienen als Raumteiler und Requisitenlager zugleich. Freilich weist Kostümbildnerin Uschi Leinhäuser, die ebenfalls an der Bühnenausstattung dieser Inszenierung mitwirkt, diesen ersten Gedanken des Betrachters von sich und erklärt: „Wir wollen unterstreichen, dass diese Liebesgeschichte auf der Bühne stattfindet. Nicht in Verona oder sonst wo, sondern hier passiert Theater im Theater.“

Gut zu wissen. Aber möglicherweise ist ja doch ein bisschen Wahres daran, dass damit auch – und sei's nur hintergründig – eine Arbeit honoriert wird, die eigentlich im Verborgenen eines Theaters vollbracht wird und deren Resultate der Zuschauer zwar registriert, aber doch eher selbstverständlich, flüchtig – als unverzichtbare Zutat, aber ohne sich der wirklichen Bedeutung bewusst zu sein: Die Kostüme der Schauspieler. Dabei gilt auf der Bühne durchaus die Weisheit: „Kleider machen Leute“ oder in diesem Falle besser: Kleider machen Figuren. Aber bevor es so weit ist, „macht“ Uschi Leinhäuser erstmal die Kleider.

Am Anfang ist der Kopf: Das Stück wird gelesen, die Charaktere der Figuren analysiert, Gedankenaustausch mit Regisseur und Schauspielern folgt. Nach dieser tagelang dauernden „Befruchtungsphase“ beginnt die Kostümbildnerin die Entwürfe auf Papier zu skizzieren, dabei baut sie ebenso auf die Ideen, die ihre Kolleginnen Galina Rikkert (Gewandmeisterin) und Gabie Lindner (Kostümde-sign-Assistentin) mit einbringen. „Wir wollen mit Stoffen und Farben Emotionen wecken“, sagt Uschi Leinhäuser. Und: Die Kleider müssen „praktikabel“ sein. Die Schauspieler, die oft die Rollen wechseln, sollen hinein- und hinausschlüpfen können, wie aus einer zweiten Haut.

Die „Kostüm-Wachstumsphase“, die der eigentlichen Produktion vorausgeht, wird von diversen „Jagdzügen“ durch Second-Hand-Shops und Flohmärkte begleitet; die drei Frauen wälzen Modemagazine genauso wie Geschichtsbücher.

Während an großen Theaterhäusern die Arbeit von Kostümbildner und Gewandmeister streng getrennt ist – sozusagen in „Theorie und Praxis“ – schneidert, wäscht, bügelt und flickt Leinhäuser genauso wie ihre Kolleginnen: „Genau das finde ich aber reizvoll.“ Auch, wenn dieser Job eine Menge Stress bedeute. Feste Arbeitszeiten sind da eher ein Fremdwort, die selbst auferlegte Sieben-Tage-Woche vor einer Premiere ist die Regel. „Wir haben natürlich den Ehrgeiz, etwas ganz Besonderes zu kreieren.“ Wie beispielsweise das Ballkleid der Julia: Ganze zehn Arbeitstage benötigte das Team zur Fertigstellung dieses pompösen Prachtstücks aus 50 Meter mal 1,40 Meter Tüll, der in kleinen Fetzen an ein Netz in Form eines Reifrocks samt Schleppe geknüpft wurde. Übrigens mit tatkräftiger Unterstützung der beiden Töchter von Galina und Uschi, die es toll finden, ihren Müttern in der Schneiderei ab und an unter die Arme zu greifen.

Aus der Ferne wirkt dieses Kleid wie die in allen denkbaren Rottönen schillernde Schuppenhaut einer exotischen Echse, die Paarungsbereitschaft signalisiert. Diese Assoziation ist vielleicht gar nicht so falsch. Immerhin begründet Uschi Leinhäuser ihren Entwurf damit: „Für Romeo ist Julia einzigartig, weil augenblicklich seine Liebe für sie entflammt. Mit dem auffälligen Kostüm soll Julia auch das Publikum sofort und unvermeidlich in ihren Bann ziehen.“

Sandor Nadelmann

Morgen Abend um 19.30 Uhr. Karten unter Tel.: (0421) 500 333