„Ein Kompromiss mit der Wahrheit“

Der belgische Autor Ludo de Witte über den Lumumba-Untersuchungsbericht und Belgiens wirkliche Verantwortung

Mit seinem Buch „De Moord op Lumumba“ gab der Belgier Ludo de Witte 1999 den Anstoß zur Bildung der belgischen Untersuchungskommission, die jetzt ihren Bericht vorgelegt hat. Der deutsche Titel lautet: „Regierungsauftrag Mord: Der Tod Lumumbas und die Kongo-Krise“, Forum-Verlag Leipzig, DM 39,80.

taz: Was halten Sie von dem Untersuchungsbericht?

Ludo de Witte: Er ist ein politischer Kompromiss. Bekanntlich saßen in der Kommission und ihrem Expertengremium Leute, die die Rolle belgischer Entscheidungsträger in dieser Affäre so gründlich durchleuchten wollten wie möglich, und andere, die den Schaden für das belgische Establishment möglichst begrenzen wollten. Wichtig ist, dass man die Rolle des Königshauses ein wenig aufgeklärt hat und bereit zu sein scheint, daraus Schlüsse zu ziehen. Offenbar will jetzt eine politische Mehrheit die Stellung des Königs auf eine rein zeremonielle Rolle beschränken.

War also der König für Lumumbas Schicksal „moralisch verantwortlich“, wie der Bericht die Verantwortung Belgiens umschreibt?

Ich verstehe nicht, was „moralisch verantwortlich“ heißt. Die endgültige politische Verantwortung liegt bei der belgischen Regierung. Sie muss für die politischen Handlungen Belgiens in jener Zeit geradestehen. Mit der Feststellung, Belgien trage bei der Ermordung Lumumbas eine „moralische Verantwortung“, trifft man einen Kompromiss mit der Wahrheit. Gewisse historische Elemente werden akzeptiert, aber zugleich wird eine Formel gefunden, die die praktischen Konsequenzen begrenzt. Moralische Verantwortung heißt: keine politische Verantwortung, und daher keine politischen Konsequenzen, keine juristischen, keine finanziellen.

Die Kommission sagt aber, es gebe keine Beweise für einen Vorsatz der belgischen Regierung hinsichtlich der Ermordung Lumumbas.

Wenn das Kriterium für die Feststellung von Vorsatz ist, Belege aus erster Hand zu finden, hätte man sich die Kommission sparen können. Es geht nicht um Vorsatz, sondern darum, dass belgische Minister und Militärs wussten, dass Lumumba sterben würde, wenn man ihn nach Katanga überstellt. Sie wussten das, aber reagierten nicht, nach dem Motto: Wir machen unsere Hände nicht schmutzig. Die Belgier in Katanga hätten die Hinrichtung stoppen können. Sie taten es nicht. Hier liegt die Verantwortung der belgischen Regierung und ihrer Vertreter vor Ort.

Sie sind also enttäuscht?

Als Wissenschaftler bin ich unzufrieden. Aber in der derzeitigen politischen Lage ist das Ergebnis ein guter Ausgangspunkt für weitere Debatten.

INTERVIEW: FRANCOIS MISSER