Niere schwingt Tanzbein

Restmacho bleibt zurück: Heute Abend liest Rocco Fortunato im Italienschen Kulturinstitut aus seinem neuen Roman

Das Zentrum der Welt von Rocco Fortunato bilden seine Nieren. Weil sie nicht mehr funktionieren. Darüber hat er sein autobiografisches Buch „Nichts als Leben“ geschrieben: über die Dialyse, das Krankenhaus, die Transplantation und darüber, dass vorher alles anders war. Da spielte Rocco Fortunato als Gitarrist und Sänger in der Heavy-Metal-Band Miss Daisy, da hatte er viele Frauen und keine Wohnung.

Doch dann fängt es an: „Mit dreiunddreißig Jahren haben sie mich und Jesus Christus ans Kreuz geschlagen. Er ist nach drei Tagen wieder auferstanden. Ich muss sterben. Nach und nach.“ Rocco versucht ganz optimistisch zu sein, aber die Krankheit bricht in sein Leben, das grammatikalische Futur wird fortan zum Tabu, der selbstbewusste Lebemann fällt aus seiner ungeordneten Ordnung heraus.

Was er im Krankenhaus erlebt, wenn er dreimal wöchentlich für jeweils vier Stunden zur Dialyse muss, hat er notiert, witzig und leichtfüßig: zum Beispiel in kurzen Porträts von seinen Mitpatienten, Leidensgenossen, allen voran Farini, der fresswütige einhundertundsechzig Kilo schwere Diabetiker und Kleinganove mit zwei Handys und Michele, der immer verliebt ist oder die andere „Niere“ Peppino und die „Leber“ Fidel, mit denen Rocco die Organspenderin teilt. Das Leben mit der Spenderniere gestaltet sich jedoch nicht viel erträglicher als das Dialyse-Leben: unzählige Arztkontrollen und verschiedene „Perioden“, die sich ablösen, „die mit dem Zittern“, „die mit dem büschelweisen Haarausfall“ oder die mit dem Grauschleier vor den Augen. Wie in einem kleinen medizinischen Lehrbuch beschreibt Fortunato, wie eine Dialyse funktioniert, was die Niere mit dem Kreatinin anstellen sollte und gibt dem Laien Stoff, um in ein Leben einzutauchen, das sich nur noch auf den Körper konzentriert.

Und weil die Nieren sich im Unterleib befinden, geht es nunmal auch ganz viel um Sex, ob’s geht oder nicht, und da es eher nicht geht, geht es nur noch im Kopf. Wenn Rocco Fortunato erzählerische Kraft über weite Strecken in der Ironie liegt, auch in der Selbstironie, dann verlässt sie ihn jedoch, wenn er darüber fantasiert, wie er die „süßen“ Ärztinnen verführt. Siehe da, es bleibt ein Restmacho zurück, aber einer, der stark angegriffen wurde, mit einem aufgeblähten Bauch und einer großen Narbe, die nur wenn’s ganz dunkel wird an einen Helden aus dem Schlachtfeld erinnern könnte.

Fortunatos Leichtigkeit, das Existenzielle darzustellen, ist erstaunlich und hat dem Buch und seinem Verfasser in Italien Erfolg gebracht. Denn er verbindet zweierlei: den Jargon einer jungen, schnellen und horizontalen Erzählliteratur, die Enrico Brizzi Mitte der Neunziger mit dem Kultbuch „Ein verdammt schwerer Abgang“ eingeläutet hatte und bei der es auch um Belanglosigkeiten wie die Pickel und Liebesnöte von Dauerpubertierenden ging, mit dem schweren Thema der Zerbrechlichkeit des Lebens.

Beides profitiert voneinander: Wenn am Ende Rocco, Farini und Michele in einem unheimlich alten Schlitten die Autobahn entlangrasen, bis zum Anschlag die Rolling Stones hören und alles tanzt, dann schwingt auch die neue, weibliche Spenderniere ihr Tanzbein.

CHRISTIANE BREITHAUPT

Rocco Fortunato: „Nichts als Leben“. Deutsch von Ulrich Hartmann. Goldmann Verlag 2001, 222 S., 38 DM. Lesung von Rocco Fortunato, Giovanni Chiara und Sandro Veronesi heute, 19.30 Uhr, im Italienisches Kulturinstitut, Askanischer Platz 4, Kreuzberg