Baden-Württemberg prahlt, Berlin zahlt

In Deutschland wird bei den Studienkosten nicht zwischen „Landeskindern“ und Studierenden anderer Bundesländer unterschieden. Das führt zu ungerechten Kostenverteilungen. Baden-Württemberg lebt auf Kosten anderer Länder. Ein Finanzausgleich brächte Berlin eine halbe Milliarde Mark

Wenn der alte und neue Regierende Bürgermeister Berlins dieser Tage mit seinen möglichen Koalitionspartnern spricht, werden Ausgaben gekürzt und Einnahmen gesteigert. Eine mögliche zukünftige Geldquelle ist bisher noch nicht in das öffentliche Bewusstsein gerückt: ein Ausgleich für Studierende aus anderen Bundesländern. Er brächte Berlin eine gute halbe Milliarde Einnahmen – netto und jährlich.

Hochschulen sind in Deutschland überwiegend Ländersache. Der Bund beteiligt sich nur bei Bauten und Großinvestitionen – zur Hälfte. Darüber hinaus übernimmt er die Hauptaufgabe bei der Stipendiengewährung. Beides erledigt er ausgesprochen schlecht. Sowohl das Bafög wie die Investitionsausgaben bleiben weit hinter dem zurück, was Experten für notwendig halten. Weil aber Bund und Länder immer nur teilverantwortlich sind, können sie leicht auf die Untätigkeit der jeweilig anderen Institution verweisen. Experten nennen diese schlechte Lösung Politikverflechtungsfalle.

Eine noch viel größere Fehlsteuerung bei den Hochschulausgaben existiert aber zwischen den Bundesländern. In Deutschland wird beim Hochschulzugang nicht unterschieden zwischen Landeskindern und Studierenden, die ihr Abitur in einem anderen Bundesland erworben haben. Zudem ist das Studium kostenlos.

Trittbrett fahren ...

Für den einzelnen Finanzminister bedeuten Hochschulen damit nur Ausgaben, denen anscheinend wenig messbarer Nutzen gegenübersteht. Ob die Absolventen im eigenen Lande verbleiben, um zum Sozialprodukt und zu Steuereinnahmen beizutragen, ist ganz unbestimmt. Dadurch entsteht in jedem Kabinett ein Anreiz zum Trittbrettfahren: die Versuchung, durch Untätigkeit die eigenen Hochschulausgaben auf Kosten anderer Bundesländer möglichst gering zu halten.

Dieser Trend zur Ausgabenminimierung ist eine bildungsökonomische Katastrophe, die sich auch als Bremsspur im Wirtschaftswachstum bemerkbar macht. Zahlreiche ökonomische Studien zeigen den engen Zusammenhang von Sozialprodukt und den Auslagen für Forschung und Bildung.

Zwei wirtschaftlich erfolgreiche Länder liegen mit ihren Uni-Ausgaben international an der Spitze: die USA und die Schweiz. Und in beiden sind, wie auch in Deutschland, die Hochschulen Ländersache. Dort wurde aber im Unterschied zu uns die Gefahr des Trittbrettfahrens erkannt. Man hat dagegen sichere Schutzschilde errichtet. Es werden dabei den auswärtig Studierenden Sonderkosten aufgebürdet. Oder von Herkunftsländern ein Finanzausgleich abverlangt.

In den USA, wo auch die staatlichen Hochschulen Studiengebühren erheben, zahlt etwa eine Studentin aus Kalifornien, die sich an einer öffentlichen Universität in New York oder Illinois einschreiben will, durchschnittlich gut dreimal so hohe Gebühren wie ihre Kommilitonen, die aus dem jeweiligen Studierstaat selbst stammen.

Die andere – und bessere – Politikoption stellt die Schweizer Lösung dar. Hier besteht seit Jahren ein regelmäßig angepasster Staatsvertrag zwischen den Kantonen, Studienkosten ihrer Landeskinder einander finanziell abzugelten. In der neuesten Version gilt ein Vollkostenausgleich, der grob nach Fächern differenziert. Wenn also etwa ein Genfer Abiturient nach Zürich geht, dann wird pro Jahr eine Zahlung von seinem Heimatkanton fällig, die von knapp 10.000 Franken bis zu über 40.000 Franken bei der Gruppe der Mediziner im höheren Semester reicht.

Nicht nur in der Schweiz, sondern auch bei den deutschen Bundesländern gibt es erhebliche Unterschiede im Angebot von Studienplätzen. Das Statistische Bundesamt errechnet, ob und in welchem Umfang ein Bundesland mehr Abiturienten an Hochschulen anderer Länder abgibt, als es Studierende von außerhalb aufnimmt. Dabei zeigen sich unerwartete Ergebnisse. Baden-Württemberg etwa, das in überregionalen Zeitungen damit prahlt, besonders viele Hochschulen zu besitzen, lebt in Wirklichkeit erheblich auf Kosten der Nachbarn. Dagegen sind andere konservativ regierte Südländer wie Bayern oder Sachsen im Plus, ebenso wie etwa das sozialdemokratische Nordrhein-Westfalen oder die Hansestädte.

Positiver Spitzenreiter bei Einschreibungen aus anderen Bundesländern ist das Land Berlin mit netto 43.000 Mehreinschreibungen. Multiplizierte man diese Differenz an Studierenden mit den Durchschnittskosten eines Studienjahres von gut 15.000 Mark, ergibt das für die Hauptstadt jährliche Einnahmen von weit mehr als einer halben Milliarde Mark. Die könnten den Bildungsstandort sichern helfen und den Ausbau seiner Einrichtungen finanzieren. Wer etwa den Großraum Boston mit seinen zahlreichen und teils weltberühmten Hochschulen kennt, kann sich eine solche Rolle auch für Berlin gut vorstellen.

... auf Nachbars Kosten

In dem Vorschlag noch nicht berücksichtigt sind Studierende, die ihr Abitur im Ausland erworben haben. Deren Studienkosten sollte in Zukunft der Bund tragen. Er übernähme damit die Rolle eines virtuelles Bundeslands für Bildungsausländer. Ein solcher Hochschulausgleich hätte große Vorteile. Er betonte einmal die Verantwortung des Bundes für auswärtige Beziehungen, dem daran gelegen ist, viele Bildungsausländer für ein Studium in Deutschland zu interessieren. Und ganz nebenbei motivierte es noch die Hochschulen, sich um ihre ausländische Studierende intensiver zu kümmern und fremdenfeindlichen Aktivitäten strikt entgegenzutreten.

Jedem Bundesland ließe ein Finanzausgleich prinzipiell aber die Wahl, inwieweit es sich als Standort höherer Bildung profilieren möchte oder lieber andere Schwerpunkte der Entwicklung vorzieht. Das Verfahren bedeutete damit einen entscheidenden Schritt auf dem Weg vom Konkordanzföderalimus hin zu einem Konkurrenzföderalismus mit Aufgabentrennung und klaren Verantwortlichkeiten, wie er von den Finanz- und Politikwissenschaften schon lange gefordert wird. Und allen deutschen Hochschulen dürfte es bald höhere Etats bringen. Denn nichts hassen Länderfinanzminister mehr, als mehr Geld wie unbedingt nötig an ihre Kollegen zahlen zu müssen. GERD GRÖZINGER

Der Autor ist Volkswirt und Bildungsökonom an der Universität Flensburg