„Unpolitische“ Rechte vor Gericht

Skandalös wie die Geschichte des Sturms auf das „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen beginnt auch der Prozess: Richter Horst Heydorn, dem vorgeworfen wird, den Prozess verschleppt zu haben, vergaß, ein Gutachten zu bestellen

aus Schwerin HEIKE KLEFFNER

Die Nacht vom 24. August 1992 kann Nguyen Do Thinh nicht vergessen. „Als wir mit über 100 Menschen auf dem Dach des brennenden Hauses standen und sahen, dass die Polizei uns nicht zur Hilfe kam, habe ich mich ohnmächtig gefühlt“, sagt der 39-Jährige. Mehrere hundert Naziskinheads setzten damals unter dem Beifall von 3.000 Schaulustigen in Rostock-Lichtenhagen zum Sturm auf das Wohnheim von Asylbewerbern und vietnamesischen Vertragsarbeitern an.

Ein Moment hat sich ihm ins Gedächtnis gebrannt. „Ich stand im 7. Stock an einer Durchgangstür. Dahinter hatte ich einen Feuerwehrschlauch gesehen. Damit wollte ich das Feuer, das von unten hochzog, löschen.“ Aber die Tür ließ sich nicht öffnen. Nguyen Do Thinh zwängte sich schließlich durch ein schmales Loch auf die andere Seite: „Auf der einen Seite standen die Menschen, die uns töten wollten, und auf der anderen Seite war die Rettung. Ich habe es geschafft.“

Nguyen Do Thinh ist mit dem Rostocker Ausländerbeauftragten Wolfgang Richter als Nebenkläger zum Prozess gegen drei Schweriner Rechte zur Jugendkammer des Schweriner Landgerichts gekommen. Die Anklage wirft den dreien vor, mit brennenden Molotowcocktails auf das „Sonnenblumenhaus“ geworfen zu haben.

Doch die Erwartung des Ausländerbeauftragten, dass „das Gericht sich bemühen wird, vollständig zu klären, was damals passiert ist und welche Rolle die Angeklagten dabei gespielt haben“, wurde am ersten Prozesstag enttäuscht. Der sichtlich überforderte Vorsitzende Horst Heydorn, der schon im September 1992 die Haftbefehle gegen die Angeklagten außer Vollzug setzte und in den folgenden neun Jahren die Akten regelmäßig mit der Begründung liegen ließ, die Kammer müsse vorrangig Haftsachen behandeln, präsentierte den Nebenklägern drei anstelle von vier Angeklagten. Der Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs gegen den heute 28-jährigen Sven M. sei mittlerweile verjährt, entschied Heydorn fünf Tage vor Prozessbeginn. Die Nebenkläger kündigten Beschwerde an.

Auf Einstellung wegen überlanger Verfahrensdauer setzen auch die Verteidiger von Ronni S. (26), André B. (28) und Enrico P. (28). Den wegen rechtsextremer Propaganda- und Gewaltdelikten Vorbestraften, die heute äußerlich nicht mehr der rechten Szene zuzuordnen sind, wirft die Staatsanwaltschaft versuchten Mord, schwere Brandstiftung und schweren Landfriedensbruch vor. Tatmotiv sei „Ausländerhass“. „Das war damals nicht politisch motiviert“, sagt dagegen Rechtsanwalt Ralph Schürmann, der schon den Rechtsterroristen Manfred Roeder vertrat und nun Enrico P. verteidigt. „Die Angeklagten waren gewaltbereite Jugendliche.“ Ronni S. hatte im Vorfeld zugegeben, vor Ort gewesen zu sein, bestritt aber, Brandsätze geworfen zu haben.

Weil Richter Heydorn es versäumte, rechtzeitig ein gerichtsmedizinisches Gutachten zu bestellen, endete der erste Prozesstag nach der Verlesung der Anklageschrift. Am Donnerstag wollen sich die Angeklagten zu den Vorwürfen äußern.